Die reinen Herzens sind
Handschuhe.
Die kleinen roten Flecken wirkten auf dem Häufchen Schmierfett wie abstrakte Kunst. Harlow hatte die Stelle mit gelbem Band eingegrenzt. Wenn’s drauf ankam, ging nichts über einen alten Routinier.
»Wie kommen Sie darauf, daß die Flecken was mit Marie Bellson zu tun haben könnten?« fragte Decker.
»Ist eine längere Geschichte, Sergeant. Einer meiner Männer ist bei den Vernehmungen im Krankenhaus auf eine Schwester gestoßen, die Marie Bellson kennt. Die Bekanntschaft der beiden beschränkt sich allerdings darauf, sich gegenseitig Geleitschutz von der Tiefgarage durch den Tunnel bis ins Krankenhaus zu geben, wenn sie zur gleichen Zeit Nachtschicht haben. Die Parkplätze ihrer Autos sind nebeneinander.«
»Na und?«
»Mein Mann hat diese Janie Hamnick gefragt, ob sie Marie zufällig gestern nacht bei Antritt des Nachtdienstes begegnet sei. Die Antwort war positiv. Und sie hat uns gezeigt, wo ihre Autos normalerweise parken. Ich dachte, wir könnten hier vielleicht einen Schuhabdruck oder andere Spuren sicherstellen. Dabei habe ich das entdeckt.«
»Gute Arbeit, Brian«, sagte Decker. »Fordern Sie einen Labortechniker an. Vielleicht kriegt der eine saubere Blutprobe raus.«
»Dürfte schwer werden«, bemerkte Harlow. »Auf einem Garagenfußboden findet sich alles mögliche … Öl, Fett, Benzin und Dreck.«
»Im Labor haben sie Mittel und Wege, die einzelnen Stoffe voneinander zu trennen. Wenn wir Glück haben, kriegen sie was Brauchbares raus. Für einen Vergleich ist dann nur noch Marie Bellsons Blutgruppe nötig.«
»Oder die des Babys«, warf Marge ein.
Decker zog eine Grimasse. Der Gedanke war entmutigend. Aber Marge hatte recht. »Gut, ihr organisiert das. Wenn die Kollegen von der Spurensicherung hier sind, können sie auch gleich die Reifenabdrücke sicherstellen. Marie ist vielleicht schlau genug, das Nummernschild oder die Farbe ihres Wagens zu ändern. An einen Reifenwechsel denken die wenigsten. Und seht euch nach Schuhabdrücken um. Ziemlich viel Schmierfett hier auf dem Boden.«
»Wie wollen Sie die Blutgruppe der Bellson rauskriegen?« erkundigte sich Harlow.
»Vielleicht hat sie ja einen Hausarzt«, antwortete Decker.
»Oder sie wurde hier im Krankenhaus mal operiert«, ergänzte Marge. »In diesem Fall müßte eine Krankenakte existieren.
»Gute Idee.« Decker seufzte. »Jemand soll in der Krankenhauskartei nachsehen.« Er steckte die Hände in die Taschen. »Ich fahre jetzt zur Bellson-Wohnung. Ruft mich über Funk, sobald ihr hier fertig seid.«
»Okay.« Marge starrte auf die Blutflecken. »Gefällt mir gar nicht.«
»Bringt einen aber wenigstens auf Trab«, sagte Harlow.
»Eine gute Tasse Kaffee morgens tut das auch«, konterte Marge. »Ohne den bitteren Nachgeschmack.«
15
Die Temperaturen stiegen bereits, als Decker vom Parkplatz des Polizeireviers fuhr. Den Durchsuchungsbefehl in der Tasche, bog er in die Osborne Street ein und steuerte den Wagen in Richtung Freeway. Deckers Perspektive hatte sich durch den zweiundsiebzigstündigen Aufenthalt in einem geschlossenen Gebäude erstaunlich verschoben. Die Straßen erschienen ihm breiter, die Häuser höher, und der Verkehrslärm schmerzte in seinen Ohren. Aber zumindest war er draußen, war nicht länger gefangen in den Schreien der Kranken und dem Geruch des Todes.
Abgefüllt mit Kaffee griff er in die Tasche und nach dem Zettel mit Marie Bellsons Adresse. Sie wohnte nur ungefähr fünf Kilometer von seiner Ranch entfernt, seiner und Rinas Ranch, verbesserte er sich sofort im Geiste. Nachdem er so lange allein gelebt hatte, fiel es ihm noch immer schwer, das »mein« durch »unser« zu ersetzen. Nicht daß er egoistisch war! Rina konnte haben, was sie wollte. Decker sah in seinem Ausschließlichkeitsdenken die Macht der Gewohnheit. Vielleicht würde Hannah das ändern. Sie war immerhin ein gemeinsames Produkt.
Marie Bellson wohnte in einer zugigen Seitenstraße, die als Sackgasse in einer weiten Wendeschleife endete. Der Block bestand aus einer Mischung von alten, kleinen, einstöckigen Häusern im Ranchstil, Doppelhäusern und modernen Apartments. Maries Komplex lag am oberen Ende der Wendeschleife, dreistöckig, hinter einer hellen, verwitterten Holzfassade. Decker stellte den Plymouth zwischen einem weißen Ford Bronco und einem weißen Volvo ab. Weiter unten an der Straße stand der Streifenwagen. Der semmelblonde Tim Swanson saß am Steuer. Decker winkte ihm unauffällig zu. Swanson stieg
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