Die reinen Herzens sind
mich.«
Cindy umarmte den Vater. »Daddy, alle brauchen dich.«
»Sehr lustig«, sagte Decker.
Baden-Baden braucht sich keine Sorgen zu machen, dachte Marge.
Das Bodybuilding-Studio Silver’s war weder ein Heilbad oder ein Gesundheitsinstitut noch ein normales Sportstudio. Es war eine schäbige, schmucklose Fabrikhalle. Es gab keine New-Age-Musik aus versteckten Lautsprechern, keine schicke Auslegeware auf dem Fußboden. Statt dessen nur rissiger Verputz an den Wänden und kaputte Spiegel. Die mit Schalldämmplatten verkleidete Decke hatte Wasserflecken, der Linoleumboden war alt und abgetreten. Ein paar Ventilatoren arbeiteten auf Hochtouren, ohne der stickigen Hitze etwas anhaben zu können. Das Studio hatte nichts, aber auch gar nichts Einladendes an sich.
Der Saal war vollgestopft mit Fitneßgeräten und Hanteln. Ungefähr zwei Drittel der diversen Geräte waren besetzt. Immer mehr Leute kamen durch den Haupteingang. Versprach, ein belebter Abend zu werden.
Ausdrücke wie Muskelmänner oder Kraftprotze wurden dem männlichen Publikum bei Silver’s kaum gerecht. Sie sahen eher wie überzüchtete Mutanten ihrer eigenen Spezies aus. Ihre Körper wirkten aufgeblasen wie Ballons. Beim Training traten pulsierende Adern unter enthaarter Haut hervor, Muskeln und Sehnen wurden in einer Art sichtbar, wie man das sonst nur im Seziersaal erlebte. Marge tat es beinahe weh, der Schinderei zuzusehen.
Was veranlaßte Männer, sich das anzutun? Stunde um Stunde mit rückgratverkrümmenden Gewichten zu verbringen? Sich mit Anabolika vollzupumpen, die zu Krebs oder Sterilität führen konnten?
Was veranlaßte Frauen, sich zu Skeletten zu hungern und alle Mahlzeiten wieder zu erbrechen?
Während Marge die beiden Phänomene verglich, wurde ihr klar, daß sich Magersucht kaum von extremem Bodybuilding unterschied. Die Anhänger beider Gruppen orientierten sich an Zerrbildern vom perfekten menschlichen Körper. Zerrbilder, die sie durch extreme Maßnahmen zu verwirklichen suchten.
Der perfekte Körper.
Marge sah an sich hinab. Sie war groß, grobknochig, muskulös und wie jede Frau mit ihrem genetischen Erbe unzufrieden. Aber sie konnte damit leben. All ihre Gliedmaßen funktionierten verhältnismäßig wartungsfrei. Ihren Körper nach einem Idealbild zu trainieren, wäre ihr viel zu aufwendig und schweißtreibend gewesen.
Anders die ungefähr fünfundzwanzig Männer, die im Saal an sich arbeiteten. Wie Leek es beschrieben hatte, trainierten die Bodybuilder unter lautem Stöhnen, Keuchen und Schreien. Schweiß glänzte auf ihren Gesichtern und Körpern. Nur mit dem Nötigsten bekleidet, drückten und hoben sie, stemmten Gewichte mit den Füßen, machten unzählige Rumpfbeugen unter Zugtürmen, Liegestütze und Klimmzüge. Sie bewegten massenhaft Gewichte, die Muskeln aufgebläht, die Adern pulsierend, ihre schweißnassen Gesichter dunkelrot. Plötzlich knallte eine Hantelstange auf den Boden, daß Marge die Erschütterung bis in den Rücken spürte.
Aber außer ihr schien das niemand im Raum wahrzunehmen.
Der Geruch von Plackerei und Schweiß in Kombination mit der Hitze schuf eine stickige, klaustrophobische Atmosphäre. Marge fühlte, wie sich Schweißflecken unter ihren Achseln bildeten.
Sie fuhr zusammen, als Metall auf Metall krachte und in ihren Ohren dröhnte. Gewichte prallten aufeinander. Ein Aufschrei folgte.
»Kann jemand dem Idioten beibringen, wie man korrekt mit Gewichten arbeitet?«
Niemand antwortete.
Marges Blick schweifte durch den Raum. Frauen hatte sie bisher nicht bemerkt. Aber der Mann am Empfang hatte gesagt, daß Tandy gerade mit ihrem zweistündigen Training begonnen habe. Vielleicht gab es einen separaten Übungsraum für Frauen. Erneut schweifte ihr Blick forschend durch den Saal.
Diesmal entdeckte sie eine Gestalt mit einem langen, schwarzen Zopf und der Figur eines gut gebauten, schlanken Mannes. Sie war mindestens einen Meter fünfundsiebzig groß, hatte einen breiten Rücken, schmale Hüften, runde, muskulöse Gesäßbacken. Die Beine waren lang, Oberschenkel und Waden gut geformt. Die Rückenmuskeln zuckten vor verhaltener Energie. Dann drehte sich die Gestalt um. Sie hatte Brüste. Es war eine Frau.
Eine ausgesprochen schöne Frau, mit einem Gesicht, das ein Coverfoto bei der Vogue wert gewesen wäre. Es war oval, mit weit auseinanderstehenden Augen, hohen Backenknochen, olivfarbener Haut und vollen Lippen. Diese befeuchtete sie gerade mit der Zunge, griff nach einem Hantelpaar
Weitere Kostenlose Bücher