Die reinen Herzens sind
ich.«
Erneut wartete Marge auf weitere Fragen. Sie blieben aus. Tandy äußerte sich auch nicht über ihre Freundschaft zu Marie. »Wollen Sie nicht deutlicher werden?«
»Wir sind gute Freunde gewesen für ungefähr ein, nein, zwei Jahre. Was soll das heißen, Marie ist verschwunden?«
»Marie hatte Dienst. Und von einer Sekunde auf die andere waren sie und das Baby nicht mehr aufzufinden.«
»Sie glauben, Marie hat eines ihrer Babys entführt?«
»Ihrer Babys?«
»Entschuldigung, eines der Babys. Sie hat von den Säuglingen immer als ihren Babys gesprochen.«
»Interessant.« Marge verstummte. Falls Marie die Säuglinge für ihre Babys hielt, konnte sie es vor sich rechtfertigen, eines mitzunehmen. »Mal rein theoretisch, Tandy. Angenommen, Marie hätte eines der Babys entführt … wo würde sie mit dem Kind untertauchen?«
Tandy schien verwirrt. »Das weiß ich nicht. Ich habe seit zwei Jahren nicht mehr mit Marie gesprochen. Die Marie, die ich gekannt habe, hätte niemals ein Baby entführt, selbst wenn sie es gewollt hätte. Wenn sie es getan hat, muß sie sich radikal verändert haben.«
»Was meinen Sie mit ›selbst wenn sie es gewollt hätte‹?«
Tandy zögerte. »Keine Ahnung, warum ich das gesagt habe.«
»Natürlich wissen Sie das. Also? Ich erwarte eine Antwort.«
»Na, gut. Vielleicht haben Sie recht. Aber ich glaube nicht, daß Marie ein Baby entführen würde, okay?«
»Okay.« Marge trank einen Schluck Saft. »Warum sollte Marie also ein Baby entführen wollen, selbst wenn sie es nicht tun würde?«
Tandy schwieg.
»Miß Roberts?«
»Es ist …« Tandy seufzte. »Marie hängt sehr an ihren Schützlingen. Manchmal tut es ihr weh, ein Baby in ein Zuhause schicken zu müssen … wo alles dagegen spricht, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Na, eben ein schlechtes Zuhause mit einer minderjährigen Mutter, die die Kleine vernachlässigen oder sie vielleicht mißhandeln würde. Manchmal sind diese Mütter auch drogenabhängig. Marie hatte oft das Gefühl, daß sie diese Kinder zu einem Leben im Elend verdammte. Sie nimmt ihre Arbeit sehr ernst.«
Marge nickte und fragte sich, warum Tandy davon ausging, daß das anonyme Baby ein Mädchen war.
»Marie hat ein Kind verloren, als sie noch sehr jung war«, platzte es plötzlich aus Tandy heraus. »Ich glaube, darüber ist sie nie weggekommen.«
»Wirklich?«
Tandy nickte.
»Das hat sie Ihnen erzählt?« fragte Marge. »Damals müssen Sie beide aber sehr eng befreundet gewesen sein.«
»Waren wir auch. Komisch, wie sich so manches ändert.«
»Warum hat sie Ihnen das wohl erzählt, Tandy?«
»Vermutlich, um unsere Beziehung zu vertiefen. Jedenfalls hatte es diese Wirkung. Natürlich hat unser gemeinsamer Beruf einiges dazu beigetragen. Ich bin ebenfalls Krankenschwester. Aber ich arbeite freiberuflich. Ich lasse mich mal dort und mal da einsetzen. Ich habe früher, als ich als Model gearbeitet habe, Geld gespart. Nicht genug, um für den Rest meines Lebens davon leben zu können, aber genug, um mein Einkommen nur sporadisch aufbessern zu müssen.«
»Und Sie haben im Golden-Valley-Altenheim gearbeitet.«
»Ah, daher haben Sie also meinen Namen. Von Lita.«
Marge lächelte undurchsichtig. Sie wollte Leeks Namen aus dem Spiel lassen, bis sie den Mann genauer überprüft hatte. »Wie kommen Sie darauf, daß Maries mißglückte Schwangerschaft Sie beide enger zusammengebracht hat?«
»Was soll das werden? Die große Lebensbeichte?«
Marge wartete.
Tandy seufzte. »Ich habe in jungen Jahren auch ein Kind verloren. Eine Erfahrung, die man eigentlich nur mit jemandem teilen kann, der das auch erlebt hat.«
Marge versuchte sich nichts anmerken zu lassen, als sie sich Notizen machte. War das nur Zufall? Marge glaubte nicht an Zufälle.
»Ist lange her.« Tandys Blick schweifte in die Ferne. »Ich bin sehr jung und dumm gewesen. Ich war damals Model. Ein Idiot aus der Branche hat mich geschwängert. Hat mir fünftausend geboten, um es abtreiben zu lassen, weil er nicht wollte, daß sein Freund erfuhr, daß er bi war. Ist das zu fassen? Ich habe das Geld ausgeschlagen. Ich hätte es nehmen sollen. Im sechsten Monat hatte ich eine Fehlgeburt. Bret hatte mir noch ein paar Scheine zugesteckt, damit ich den Mund halte. Ich hatte einen lausigen Geschmack, was Männer betraf. Wenn Sie meinen Vater kennen würden … Sagt Freud nicht, wir suchen immer nur den Vater in unseren Männern?«
»Klingt jedenfalls sehr
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