Die Reise-Bibel
bereits zum zweiten Mal gemacht, ich habe ihn vor einer Stunde bereits verwarnt!« Melanie Bodens Stimme
zittert vor dienstfertiger Empörung. Diesem Lackel wird sie es zeigen!
»Stimmt nicht!«, wedelt der inzwischen wieder halbwegs bekleidete Megrette ab, so als ob er lästige Fliegen vertreiben wolle.
»Das basiert bloß auf der lebhaften Phantasie Ihrer kleinen Kollegin!«
Einer der Stewards nimmt ihn beim Arm und zieht ihn aus der Bordtoilette.
»Ich glaube meiner ›kleinen‹ Kollegin«, antwortet er leise, »und außerdem: Diesem kleinen Kollegen von Ihnen glaube ich auch!«
Er zeigt auf das Zigarillo, das er inzwischen in Gewahrsam genommen hat. Megrette schaut es an wie einen außerplanetarischen
Gesteinsbrocken, den er noch nie gesehen hat, schweigt aber vorerst.
|132| »Wir werden Sie jetzt zurück an Ihren Platz begleiten und Sie bitten müssen, ihn bis zur Ankunft in Los Angeles nicht mehr
zu verlassen.«
»Phuhh!«, bläst Megrette die Backen auf. »Und wer will mich dran hindern? Ich bin Frequent Flyer, ich habe eine Goldcard,
Sie gestriegelter Domestik, holen Sie mal Ihren Chef ran.«
Megrette schüttelt sich wie ein nasser Hund, doch der Steward hält seinen Arm im Schraubstockgriff, Megrette bleibt in seiner
Obhut.
»Mein Chef kann Ihnen auch nicht helfen, der lenkt außerdem gerade den Flieger, den Sie durch die unerlaubte Entzündung von
Rauchmitteln gefährdet haben. Wir werden eine Anzeige aufnehmen müssen und ich muss Sie darauf hinweisen, dass dieser Zwischenfall
in das Bordbuch des Fluges aufgenommen wird und Sie sich wegen eines schwerwiegenden Eingriffs in den internationalen Flugverkehr
werden verantworten müssen.«
Der Steward Peter Glock weiß zwar, dass er mit dieser Formulierung eine etwas zu große Welle macht, doch dieser Vortrag bereitet
ihm immer wieder großes Vergnügen. Führt er doch in der Regel dazu, dass seine Opfer reihum einknicken wie die Taschenmesser
und beginnen, um Gnade zu winseln. Auch der Doktor zeigt Wirkung. Allerdings führt die Drohung, seine Musterbürgerexistenz
durch eine peinliche Strafverfolgung auch nur anzukratzen, nicht etwa zu weinerlichem Bitten und Betteln, sondern zu einer
blitzartigen nervösen Magenkolik, gefördert sicher auch durch den Konsum von etwa 1,5 Liter mäßigem Rotwein in den letzten vier Stunden. Der Schwall hat erstaunlichen Druck. Rötlicher Brei ergießt sich über Peter
Glock und seinen Kollegen Seelig, auch Melanie Boden bleibt nicht verschont. Es sieht sogar einen Moment so aus, als habe
sich Dr. Constantin Megrette im letzten Teil seiner ergiebigen Attacke |133| zielführend seiner besonderen Freundin zugewandt, statt peinlich berührt Bodennähe für seinen Auswurf zu suchen. Verbale Ausdrucksvarianten
des Ekels und der Entrüstung durchziehen die Flugkabine, besonders in den Reihen 55 bis 65 ächzt und seufzt und würgt es bedenklich.
Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich Kollateralschäden in dafür bereitgehaltene Papiertüten ergießen, zumal
in diesem Moment auch Turbulenzen gemeldet und alle Passagiere aufgefordert werden, ihre Sicherheitsgurte anzulegen.
Als der sichtlich beschämte und gleichzeitig um hagestolze Haltung bemühte Doktor ein paar Minuten später vom notdürftig gesäuberten
Bordpersonal an seinen Platz geführt wird, boxt ihn Kevin Miami spielerisch auf den Oberarm.
»Stark, Alter, wie in ›Eat the rich‹. Kennste die Stelle, wo der Typ echt voll viel frisst und immer fetter wird und dann
kotzt er so einen fetten Strahl in den Eimer … Boah, ey, so geil.«
Megrette verzieht schmerzlich berührt den Mund, entgegnet aber nichts. Er fällt auf seinen Sitz. Natascha Brioche lächelt
ihn freundlich an. Aha, denkt Megrette, wir sind jetzt
Komplizen
. Helga Glowaczki tätschelt seinen Arm, sogar Heiner Glowaczki ist aus seiner Lethargie erwacht. Hinter dem Rücken seiner
Frau winkt er mit einem kleinen Flachmann, dunkelbraune Flüssigkeit schwappt in dem Fläschchen hin und her. Noble Geste, denkt
Megrette, diese Menschen können mit Situationen in den Grauzonen der Zivilisation umgehen. Trotzdem muss er bei dem Gedanken,
dieses maggiartige Gesöff zu sich zu nehmen, plump aufstoßen. Er winkt ab, lächelt sogar einmal beinahe freundlich für seine
Verhältnisse. Obwohl Helga Glowaczki ausdauernd versucht, das interessante Gespräch von vorhin wieder in Gang zu bringen,
sackt Dr. Megrette langsam weg und versinkt
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