Die Reise Nach Helsinki
kleinen Füßen
geschmeidig zwischen den Tischen hindurch und dann die Poststraße
hinunterlief, um die nächste Schwebebahn zu erreichen. Irgendwas
sitzt in ihr drin, dachte Anna, ihre Augen sind voller Angst. Ich
werde schon noch herausfinden, was es ist.
*
Anna hatte Louise und Emma in den
Zug nach Bad Neuenahr gesetzt und kehrte mit gemischten Gefühlen
zum Wall zurück. Das Haus wurde immer leerer, abgesehen von den
Hausmädchen und der Köchin war sie jetzt ganz allein. Elias,
Gertrud Meier und Else Kriebel hatten alle Aufträge abgearbeitet
und keinen Grund mehr zu kommen, Laden und Werkstatt waren
aufgeräumt und geputzt, die Pelze hatte Elias einlagern
lassen.
Immer wieder hörte Anna Pekkas
Stimme, sah seine Augen oder dachte, dass er im nächsten Augenblick
aus dem Laden kommen müsse, und jedes Mal weinte sie wieder heftig,
wenn ihr bewusst wurde, dass sie ihn niemals wiedersehen
würde.
Emma hatte sich geweigert, das Haus
noch einmal zu betreten, sie könne das alles nicht aushalten, hatte
sie gejammert, die Demütigung, sich Fingerabdrücke abnehmen lassen
zu müssen, die Verdächtigungen des Kommissars, der Schock sitze ihr
immer noch in den Knochen, und sie werde den Anblick des toten
Pekka einfach nicht los. Anna war erleichtert, dass sie Mutter und
Tante für die nächsten sechs Wochen, so lange sollte die Kur
mindestens dauern, versorgt wusste.
Louises Zustand hatte sich nicht
gebessert. Als Anna ihr die Geschichte von der finnischen Schwester
erzählte, und dass sie Lina Pasche wiedergetroffen habe und mit ihr
zusammen nach Helsinki fahren werde, hatte sie sich benommen, als
sei sie nicht mehr bei Trost. Sie hatte nach Luft geschnappt und
immer wieder geflüstert: Dieses Luder, so ein Luder, aber auf Annas
beharrliches Nachfragen, was sie denn meine, sagte sie nur, sie
habe Lina früher immer als raffiniert empfunden, Anna solle
vorsichtig sein.
Dann wankte sie in ihr Zimmer und
kam erst am nächsten Morgen wieder heraus, noch grauer und
verknitterter als vorher. Anna hoffte, der Aufenthalt in Bad
Neuenahr werde ihr den Verstand und ihre Kräfte
zurückbringen.
Es waren noch zwei Tage bis zur
Abreise, und Anna hatte alle Hände voll mit den Vorbereitungen zu
tun. Sie hatte ihren Koffer schon mehrmals ein- und ausgepackt,
weil sie wusste, dass man sich in Finnland auf alle Wetterlagen
einstellen musste. Auf jeden Fall mussten sie Beinkleider
mitnehmen, die ihnen unterwegs volle Bewegungsfreiheit
garantierten, und Anna hatte sie bei der Schneiderin in ihrer und
Linas Größe in Auftrag gegeben. Ein Telegramm von Carl Soderberg
war angekommen, in dem er schrieb, er sei glücklich, Anna und
Fräulein Pasche in Helsinki begrüßen zu dürfen. Er werde mit seiner
Frau Ulla am Kai stehen und sehe ihrem Kommen mit großer Freude
entgegen, selbstverständlich seien sie in seinem Haus als Gäste
willkommen.
Vor dem Schaufenster des Pelzhandels
Salander stand Hugo Blank und lächelte ihr entgegen, ganz
offensichtlich wartete er auf sie. Seit ihrer Auseinandersetzung
wegen der Helsinkireise hatten sie sich nicht mehr
gesehen.
»Na, heute nicht im
Dienst?«
Ihr Ton fiel aggressiver aus, als
sie es beabsichtigte. Hugo verunsicherte sie. Einerseits hatte es
ihr gefallen, als er seine Hand auf ihre gelegt hatte, und
überhaupt begann die Luft zu flirren, wenn sie zusammen waren. Das
Gefühl war wunderbar, und in dieser Art hatte sie es noch bei
keinem Mann erlebt. Aber es schwächte sie auch und entzog ihr die
Kontrolle über die Situation, das war mehr als unangenehm. Adele
Honscheid hatte sie mehrfach vor diesem Zustand gewarnt: Sie machen
dir schöne Augen und lullen dich ein, dann sitzt du in der Falle,
und sie machen mit dir, was sie wollen. Am liebsten sofort ein
Kind, damit du außer Gefecht bist. Pass bloß auf, das ist der
übelste Trick der Männer, triff dich niemals mit einem, ohne
Kondome in der Tasche zu haben.
»Doch, doch«, sagte Hugo, »Sie
wissen doch, ein preußischer Beamter ist immer im Dienst. Heute
Morgen rief Frau Großmann mich wieder an, sie hat noch etwas
Aufschlussreiches entdeckt.«
Anna wurde blass. »Hoffentlich
betrifft es nicht wieder mich? Aber kommen Sie doch herein, das
müssen wir ja nicht auf der Straße besprechen.«
»Kommt Ihnen der Name Nilas Niolpas
bekannt vor? Hat Ihr Vater ihn mal in seinen finnischen Geschichten
erwähnt?«
Anna überlegte, der Name war ihr
nicht fremd, aber sie kam nicht mehr auf den
Zusammenhang.
»Ich denke,
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