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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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wussten von alldem
nichts.«
    »Ich war auch wie vom Blitz
getroffen«, sagte Pirkkaliisa. »Und wie schockiert Fräulein
Salander erst sein wird, die Arme, ihr bleibt auch nichts
erspart.«
    Und mir auch nicht, dachte Hugo, der
die Botschaft überbringen musste. Das war wirklich starker Tobak
für Anna. Außerdem musste er Louise Brüninghaus und Emma Salander
noch einmal vernehmen. Waren sie wirklich so ahnungslos, wie sie
getan hatten?
    »Da scheint sich ja noch einiges an
Zündstoff zu verbergen«, sagte Hugo, »wie schnell können Sie
weitermachen, Frau Großmann?«
    »Hier in Solingen gehen die
Windpocken um, die Kleinen hatten sie noch nicht, wenn sie uns
erwischen, sieht es schlecht aus. Aber ich werde mein Bestes tun,
ich setze mich jetzt direkt wieder dran, der Haushalt kann
warten.«
    »Nehmen Sie sich doch vielleicht
zuerst noch mal die jüngeren Briefe vor, wer weiß, was darin
steckt.«
    »Mach ich, Herr Kommissar, hej, hej [Tschüs] .« Die
helle Stimme verstummte, und aus der Leitung rauschte es nur
noch. »Hej, hej«, sagte Hugo in den Hörer, dann ging er ins Nebenzimmer und
informierte Kommissar Hohenstein. Anschließend verließ er das
Präsidium, nahm im Erfrischungsraum des Warenhauses Tietz einen
starken Kaffee und ein Brötchen zu sich und ging mit mulmigem
Gefühl den Wall hinunter.
    Anna öffnete ihm, blass und mit
verweintem Gesicht, und er sah, dass sie abgenommen
hatte.
    »Ich bin noch gar nicht so weit«,
sagte sie, »kommen Sie, frühstücken Sie mit mir. Ich schlafe nachts
kaum, erst gegen Morgen ein paar Stunden.« 
    Die Neuigkeit von einer Schwester in
Helsinki brachte Anna völlig aus der Fassung. Sie verschluckte sich
und hustete minutenlang, dann lehnte sie sich erschöpft
zurück.
    »Ich weiß gar nicht, ob ich
überhaupt verstehe, was Sie sagen«, flüsterte sie, »ich glaube, das
alles kommt gar nicht richtig bei mir an. Eine Schwester, sagen
Sie? Und Papa wollte sie besuchen? Wann, sagen Sie, vor zehn
Jahren?«
    Hugo nickte. »So steht es in dem
Brief, mit Ihnen zusammen wollte er fahren.«
    Wir fahren über die Ostsee, kulta,
nach Helsinki, da sehen die Wolken im Sommer wie Schäfchen aus,
lauter weiße Wollschäfchen grasen in dem blauen
Ostseehimmel.
    Emma mit Migränegesicht: Lass das
Kind mit deinen Versprechungen in Ruhe, redest immer davon und
fährst doch nicht.
    Kinder sind das Schönste, das einem
geschenkt werden kann, kullan muru, sie sind die beste Möglichkeit
von uns selbst, wir vergrößern uns in ihnen, sie sind unser Weg in
die Zukunft, wir können von ihnen lernen, was selbstlose Liebe
ist.
    Was redest du wieder, Pekka, was
soll das Kind damit anfangen, vergrößern, selbstlose Liebe, was für
ein Blödsinn.
    Ein Kind zu verlieren, ist das
Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, man geht durch die
Hölle. Wasser in blaugrünen Finnenaugen, nicht weinen, isi, komm,
wir gehen zu Kremer und essen Schokoladenkuchen. 
    Eine Schwester. Der Gedanke kroch
fremd heran und hatte gleichzeitig etwas Tröstliches. Anna hatte
sich immer Geschwister gewünscht und sich vorgestellt, einen großen
Bruder zu haben, der sie beschützte, eine Schwester, mit der sie
flüstern und zu der sie nachts ins Bett kriechen konnte, wenn Angst
und schlechte Träume sie quälten.
    »Wenn es nicht mein Vater wäre, und
Sie wissen, wie ich ihn geliebt habe, würde ich denken, was für ein
Mensch«, brachte sie schließlich heraus. »Was für ein Mensch ist
das, der der einen Tochter die andere verschweigt? Der zwanzig
Jahre mit einer solchen Lüge lebt und sie mit ins Grab
nimmt?«
    »Vielleicht gibt es das häufiger,
als man denkt«, versuchte Hugo sie zu beruhigen, »die Dinge kommen
ja nicht immer so schonungslos ans Licht.«
    »Und diese Riikka wollte nichts von
ihm wissen?«
    »So hat es sich
angehört.«
    »Wie viele Briefe hat Pirkkaliisa
schon übersetzt? Mit welchen Überraschungen müssen wir noch
rechnen?«
    »Bis jetzt sind es zehn, es bleiben
noch fünfzehn. Natürlich weiß ich auch nicht, was da noch alles
drinsteckt.«
    Anna lief eine Weile mit der
Kaffeetasse in der Hand in der Küche auf und ab, langsam gewann ihr
Gesicht wieder Farbe, und ihr Blick bekam etwas Kämpferisches.
Abrupt stellte sie die Tasse auf den Tisch und sah Hugo
entschlossen an.
    »Ich weiß, was ich tue, ich werde
nach Helsinki fahren. Ich werde mich auf die Spuren meines Vaters
begeben, diese Tante suchen und meine Schwester, du lieber Himmel,
so einen Gedanken kann man ja gar nicht

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