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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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Kinderhand in seine schmale, trockene Hand genommen und sie
ihm die Stadt gezeigt hatte, das neue Museum mit seinen
Kunstschätzen, den Neumarkt mit dem Rathaus und dem Neptunsbrunnen,
die ebenfalls gerade fertig gestellte Stadthalle und natürlich die
Schwebebahn, die eben von Kaiser Wilhelm und Kaiserin Viktoria -
Anna hatte sie als winkende kleine Püppchen in Erinnerung -
eingeweiht worden
war.       
    Was hat die kleine Anna für ein
Glück, dass sie in einer Stadt mit einer so schönen Luftschaukel -
wie Pekka sagte er Luftsssaukel - wohnen darf.
    Als Soderberg wieder abfuhr, hatte
Pekka weinend auf dem Bahnsteig gestanden, und das weiche,
zischende Finnisch, in dem die beiden sich unterhielten, hatte Anna
noch Tage in den Ohren geklungen.
    So einen Papa hätte ich mir
gewünscht, kullan muru, er ist ein guter Mensch, der beste, den ich
kenne. Schau, was er für schöne Pelze mitgebracht hat, Blaufüchse,
Silberfüchse, und hier, der Zobel, ein Pelz für den Kaiser. Ach,
was rede ich, nicht für den dummen Kaiser, für mein Annakind ist
der Zobel, der Kronenzobel für meine Kaiserin, die einmal die
schönste Frau der Welt sein wird.
    Pekka blies die Pelzhärchen
auseinander, Emma echauffierte sich.
    Was redest du dem Kind ein, Pekka,
sie verliert ja jedes Maß, sie gerät uns ja völlig aus den
Fugen.
    Meine Tochter wird eine schöne,
stolze, kluge Frau sein, da braucht sie kein Maß und keine Fugen,
es reicht, wenn sie so ist, wie sie ist.
    »Ich würde was drum geben, wenn ich
einen Blick in die Zukunft werfen und sehen könnte, was in vier
Wochen ist«, sagte Anna. »Wenn ich nur wüsste, was uns erwartet.
Als Erstes müssen wir uns auf die Suche nach meiner Tante machen,
ich hoffe, Herr Soderberg hat eine Spur von ihr. Warum hat Papa nur
alle Kontakte abgebrochen? Ich weiß, dass er seine Schwester
liebte, er hat oft von ihr gesprochen, von ihren Kinderstreichen im
Sommerhaus, wie sie Tante Mia und Tante Naimi geärgert und Salz in
den Zuckertopf getan haben, weil die beiden so gerne naschten, und
wie Tante Mia, weil eine Maus in den eingemachten Heidelbeeren
ertrunken war, die ganze Gegend zusammenschrie. ›Yksi hiiri, yksi hiiri‹ , rief Papa
dann mit Fistelstimme, ›voi hyväjumala,
yksi hiiri‹ [ Eine Maus, eine Maus, um
Gottes willen, eine Maus ] Allerdings sprach er nie von Minna als
Erwachsener, er hat nie etwas darüber gesagt, was aus ihr geworden
ist. Warum ist so vieles rätselhaft an meinem Vater, Lina? Ich
werde fast verrückt davon, wie wenig ich von ihm weiß.«
    Lina hatte sich zurückgelehnt, ihr
kleines Gesicht war fast grau. Ein paar Mal öffnete sie den Mund,
als wolle sie etwas sagen, tat es aber nicht, sondern schloss die
Augen und drückte sich tief in den gepolsterten Sitz. In Anna, die
in den letzten Nächten vor Aufregung kaum geschlafen hatte, machte
sich Erschöpfung breit, sie lehnte sich ebenfalls zurück und wollte
gerade die Augen schließen, als eine Männergestalt an der gläsernen
Tür des Abteils, deren Vorhänge zurückgezogen waren,
vorbeiglitt.
    »Das kann doch wohl nicht wahr
sein!«
    Lina öffnete ebenfalls die Augen und
sah Anna erschrocken an.
    »Hast du den Mann gerade
gesehen?«
    Lina verneinte, Anna konnte vor
Aufregung kaum sprechen. »Es war der Russe, jedenfalls nenne ich
ihn so für mich, ein sehr seltsamer Mann, den ich schon zweimal in
Elberfeld gesehen habe. Einmal stand er vor unserem Haus, das war
kurz vor dem Mord, er fiel mir auf, weil er irgendwie fremd aussah.
Und dann war er auf Papas Beerdigung, da war er ganz verweint. Ich
wollte es der Polizei sagen, aber ich habe
es immer wieder vergessen in der ganzen Aufregung. Und jetzt
scheint er hier im Zug zu sein. Das muss doch etwas zu bedeuten
haben, Lina, ich habe das Gefühl, dass er mich verfolgt. Was machen
wir nur?«
    »Das weiß ich auch nicht. Das Beste
ist, wir verriegeln das Abteil, und wenn wir mal raus müssen, gehen
wir zusammen.«
    »Sergeant Blank hat gesagt, wir
würden Schutz brauchen«, sagte Anna beklommen, »ich hätte auf ihn
hören sollen.«
    Lina setzte sich auf, sie war
kalkweiß und sah aus, als würde sie gleich ohnmächtig.
    »Vielleicht war die ganze Reise
ohnehin ein Fehler«, brachte sie schließlich heraus, »vor allem
hätte ich niemals mitkommen dürfen, das wird mir immer klarer. Es
gibt nämlich etwas, das du nicht weißt, ich habe dich belogen,
Anna. Ich habe zuerst gedacht, ich könnte es dir verschweigen, aber
das geht nicht. Ich muss dir etwas sagen, das

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