Die Reise Nach Helsinki
schwarzen
Grannenhaaren suchten ihresgleichen im ganzen
Rheinland.
Pekka war ein Glücksmensch,
zumindest habe ich das lange so gesehen. Ich wusste ja auch um das
andere, aber trotzdem, es war ein Glanz um ihn, er war nicht so
hart und säuerlich wie unsere Männer, unsere Schnauzbärte, unsere
Wilhelms, wie du sie nennst, er roch so gut, es war einem wohl,
wenn er in der Nähe war.
Aber das weißt du ja alles, mein
Annakind, du weißt, wie dein Vater war. Ich
schreibe dir diesen Brief, damit du die Dinge erfährst, die hinter
all dem lagen, die nie ausgesprochen wurden in unserem Hause.
Inzwischen glaube ich ja, dass es das in jeder Familie gibt, das
offizielle Leben sozusagen, das sich nach außen zeigt, an das die
Nachbarn glauben und an das man selbst auch am liebsten glauben
möchte. Und dann das zweite Leben, das dahinter liegt oder
darunter, wie man es sehen will. Das geheime Leben, das aus der
Leidenschaft, den Ängsten und den Schattenseiten der Menschen
erwächst.
Mein Verhängnis war, dass ich am
Anfang dachte, ich sei Pekka nicht egal, als Frau meine ich, und
vielleicht war es für kurze Zeit auch so. Wir harmonierten ja so
wunderbar bei der Arbeit, wir waren fröhlich, Scherze flogen hin
und her, der Tag verging wie im Flug. Erst später wurde mir klar,
dass er allen Frauen dieses Gefühl gegeben hat. Egal, wie
unscheinbar sie waren, wenn Pekka sie anstrahlte, blühten sie auf
und sahen schön und glücklich aus.
Als er hier ankam, war er sehr
einsam und sprach ein Deutsch, vor dem es einen grausen konnte.
Louiss, sagte er zu mir, Louisschen, du bist eine gute Seele, wenn
ich nur jemanden hätte, bei dem ich mein Herz ausschütten könnte.
Obwohl ich ihn immer wieder dazu ermuntert habe, tat er es lange
nicht, sondern erging sich nur gelegentlich in nebulösen
Andeutungen. In der Nacht, als du geboren wurdest, Annakind, war es
dann so weit, Pekka und ich haben Schnaps getrunken aus Freude über
deine Ankunft, während du und Emma den Schlaf der Gerechten
schliefet, und da hat er mir alles erzählt, wie ein Sturzbach brach
es aus ihm heraus, die ganze Geschichte, von der außer mir niemand
etwas erfahren hat.
3
Die Reise
»Guck dir das an, Frauengefängnis
ist doch gar kein Ausdruck!«
Anna und Lina standen in der
Schlange vor dem Erste-Klasse-Wagen des D-Zuges nach Hamburg auf
dem belebten Bahnsteig des Düsseldorfer Hauptbahnhofes und
beobachteten eine Frau, die versuchte, die hohen Trittbretter zu
erklimmen. Der hautenge Rock ihres Reisekostüms erwies sich dabei
als unüberwindliches Hindernis, und sie schaffte es erst, als von
oben gezogen und von hinten nachgeschoben wurde. Anna und Lina
wiesen die Hände, die sich auch ihnen hilfreich entgegenstreckten,
hoheitsvoll zurück und schwangen sich wie die Männer in ihren
Beinkleidern mit raumgreifenden Schritten in den Wagen.
Der Zug pfiff gellend und stieß
Dampfwolken aus, dann setzte er sich langsam in Bewegung und
rumpelte in Richtung Nordosten. Sechs Stunden würden sie bis
Hamburg-Altona brauchen, wo Anna ein Hotelzimmer gebucht hatte. Am
nächsten Morgen sollte es weiter nach Lübeck gehen, wo sie am
Mittag die »Primula« besteigen und zwei Tage später, nach einem
Zwischenstopp in Reval [Tallin], Helsinki erreichen
würden.
Sie hatten jede nur einen
Reisekoffer und ein Stück Handgepäck dabei und machten es sich in
ihrem Erste-Klasse-Abteil bequem.
»Heute Abend trinken wir
Champagner!« Zum ersten Mal seit Pekkas Tod funkelten Annas Augen
wieder. »Lina, jetzt fängt unser Abenteuer an, lass uns versuchen,
es trotz allem ein bisschen zu genießen.«
»Hoffentlich geht es gut aus.« Lina
seufzte, sie war wortkarg und sah immer noch blass und erschöpft
aus. »Und du meinst, bei Soderbergs können wir wirklich
unterkommen?«
»Auf jeden Fall, wir sind ihm sehr
willkommen, hat er telegraphiert. Du hast ihn ja damals kennen
gelernt, als er uns besucht hat, du
erinnerst dich doch, wie freundlich er war? Er weiß, was passiert
ist, die finnische Polizei war wohl schon einige Male bei
ihm.«
Anna sah aus dem Fenster und dachte
an Onkel Soderbergs gütige Augen, seine bedächtige, ruhige Stimme
und seinen Geruch nach frischer Wäsche, den sie sich jederzeit
wieder ins Gedächtnis rufen konnte, genau wie seinen wunderbar
weichen Kaschmirmantel mit dem Biberkragen, der ihm etwas
Vornehmes, Aristokratisches gegeben hatte. Elf Jahre musste es her
sein, dass er in Elberfeld gewesen war, sie erinnerte sich, wie er
ihre
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