Die Reise Nach Helsinki
mein Vater hat mal über
ihn gesprochen, im Zusammenhang mit Lappland. Aber genau weiß ich
es nicht mehr. Was ist denn mit ihm?«
»Herr Soderberg spricht von ihm in
einem Brief, der etwa ein halbes Jahr zurückliegt. Der Mann soll
Drohungen gegen Ihren Vater ausgestoßen haben, wohl wegen der
Planungen, eine Zucht einzurichten. Hat er jemals darüber
gesprochen?«
»Über die Zucht ja, aber nicht über
diesen Niolpas. Das war ja auch die Zeit, als ich nach Berlin ging.
Ich werde in meinem Gedächtnis kramen, wenn mir etwas einfällt,
sage ich Ihnen noch Bescheid. Wir fahren ja in zwei
Tagen.«
»Sie fahren tatsächlich? Und schon
so schnell?«
»Am Freitag geht es los«, sagte
Anna, »Samstagmittag geht unser Schiff von Lübeck.«
»Wollen Sie nicht noch warten? Ich
versuche die ganze Zeit, meinen Vorgesetzten davon zu überzeugen,
dass wir nach Helsinki müssen, dann könnten Sie wenigstens mit
Begleitschutz fahren.«
»Du lieber Himmel! Auf den Herrn
Wilhelm können wir ja wohl warten, bis wir schwarz sind. Nein,
nein, das schaffen wir schon.«
»Wer ist denn wir?«
»Fräulein Pasche fährt mit mir, Lina
Pasche, eine alte Freundin.«
Hugo war erleichtert, dass kein Mann
mit von der Partie war, und verabschiedete sich schnell. Hohenstein
hatte sich bisher zwar nicht gegen die
Reise ausgesprochen, aber auch nicht dafür. Jetzt würde er ihn vor
vollendete Tatsachen stellen. Auf dem Weg ins Präsidium ging er in
der Reiseagentur vorbei und buchte zwei Schiffspassagen für den 16.
Juni.
Bad Neuenahr, den 9. Juni
1912
Liebe Anna,
wir sind gut hier angekommen und
denken an dich, wo du dich doch heute auf den Weg in das finnische
Abenteuer machst. Emma hat Angst um dich, der finnische Urwald,
sagt sie immer wieder, wer weiß, was ihr alles zustoßen kann. Aber
ich bin ganz ruhig, ich weiß, dass du eine mutige junge Frau bist
und vertraue auf Herrn Soderberg, der dich sicher beschützen
wird.
Mein liebes Kind, dies ist der
Beginn eines Geständnisses, das ich auf dem wunderschönen Balkon
meines Hotelzimmers niederschreibe, gestreichelt von dem warmen
Juniwind und dem Schatten der Kastanie, deren frische, hellgrüne
Blätter mich vor den Blicken der anderen Kurgäste schützen. Ich
habe Schuld auf mich geladen, und ich kann sie nicht löschen, indem
ich diese Beichte ablege. Aber vielleicht drückt sie mich dann
weniger und manches von dem, was geschehen ist, erklärt sich
wenigstens ein Stück. Ich muss weit ausholen, ich schreibe dir von
Dingen, die du auch miterlebt hast, aber ich schreibe aus meiner
Sicht, die immer eine andere war als die von dir und deiner Mutter
und die ich mir auch erst richtig zugestehen kann, seitdem Pekka
nicht mehr lebt. Seitdem Pekka tot ist, diese kaum fassbare
Tatsache dringt erst allmählich in mein Bewusstsein, und ich
vermute, dass es dir ähnlich geht.
Dies ist die Geschichte von Louise
Brüninghaus und Pekka Salander, ich erzähle sie von Anfang
an.
Es war wie ein Sonnenaufgang, als
ich ihn das erste Mal gesehen habe, wie ein warmer Strahl hat er
mich berührt. Er hatte ein Lachen, das ich sonst nur bei Kindern
erlebt habe, und Augen, denen man bis auf den Grund sehen konnte.
Sein Gesicht war so frei, so empfindlich, so weich wie das eines
jungen Mädchens, ich hatte noch nie einen solchen Mann getroffen.
Im Geschäft verzauberte er die Kundinnen, keiner konnte so vor
ihnen stehen wie er, mit seinem kräftigen, federnden Körper, er gab
ihnen das Gefühl, Nofretete und die Königin von Saba gleichzeitig
zu sein, wenn sie sich vor ihm drehten in den schmeichelnden
Krägen. Manchmal blies er in die Haare der Silberfüchse und der
Kronenzobel mit ihren silbernen Spitzen, die Soderberg für uns in
Russland auftrieb, und sagte: Schauen Sie, der Wind wird zu Seide,
wenn man einen Pelz trägt. Die Frauen schmolzen dahin, sie waren
ihm verfallen, sie kamen nur seinetwegen, und ich glaube, dass er
viel von seinem Geld mit seinen blaugrünen Finnenaugen verdient
hat. Natürlich auch mit seinem Fleiß und seinem guten Instinkt für
die Wünsche von Frauen, seinem hervorragenden Geschmack, niemand
verstand es wie Pekka, den Kundinnen den passenden Pelz auf den
Leib zu schneidern, die Wespentaillen der Jungen zu betonen oder
mit eleganten Umhängen die problematischen Stellen der Älteren zu
überspielen. Unsere Capes, Schals und Stolen aus dem hellgelben
finnischen Rotfuchs mit dem besonders feinen Haar, dem rötlichen
Eichhörnchen, dem dunkelgelben Iltis mit den
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