Die Reise Nach Helsinki
dich sehr schockieren
wird, und ich verspreche dir, dass ich auf dem nächsten Bahnhof
aussteigen und umkehren werde, wenn du das möchtest.«
Anna schwappte die Angst bis in den
Kopf, sie krampfte ihre Hände in die Sitzpolster.
»Schieß los«, sagte sie und sah Lina
mit weit aufgerissenen Augen an.
*
Als Hugo am Freitagmorgen um halb
acht zum Dienst erschien, saß auf dem Stuhl vor seinem Büro bereits
eine einfach gekleidete Frau, die ein keckes Hütchen auf ihrem
Haarknoten balancierte. Beim Näherkommen erkannte er Gertrud Meier,
das Nähmädchen aus der Kürschnerei. Sie nestelte unruhig an ihrer
Tasche.
»Ich muss Ihnen etwas sagen, das ich
bisher verschwiegen habe«, flüsterte sie, nachdem Hugo sie
hereingebeten hatte. »Ich habe nämlich ein Gespräch zwischen Herrn
Salander und Elias angehört, als Herr Salander noch lebte. Ich habe
es Elias zuliebe verheimlicht, aber jetzt kann ich es nicht mehr
für mich behalten, ich muss es loswerden.«
Hugo brühte Kaffee auf und stellte
zwei Tassen auf seinen Schreibtisch. »Da bin ich aber sehr
neugierig.«
»Es war ungefähr zwei Monate vor
Herrn Salanders Tod, wir hatten schon Feierabend«, begann Gertrud.
Sie sprach stockend und verhaspelte sich immer wieder. »Ich musste
noch mal in die Werkstatt zurück, da hörte ich die beiden streiten.
Vor allem Elias war richtig laut, das war man ja von ihm gar nicht
gewohnt. Ich blieb hinter dem Pelzständer stehen, weil ich nicht
wollte, dass sie mich bemerkten. ›Du machst ihr Leben kaputt‹, rief
Elias, ›du spielst mit ihr, und hinterher lässt du sie fallen wie
eine heiße Kartoffel. Das passiert ja nicht zum ersten Mal, daran
sind schon viele junge Frauen kaputtgegangene Herr Salander kam
kaum dazwischen, so brüllte Elias, ich habe ihn so noch nie erlebt.
Schließlich sagte Salander, er liebe Lina mehr als sein eigenes
Leben, er werde sie niemals fallen lassen, sondern sich von seiner
Frau trennen und sie heiraten.«
Hugo pfiff durch die Zähne. »Lina?
Wissen Sie, wer damit gemeint war?«
»Natürlich, Fräulein Pasche war
gemeint, die Nichte von Elias. Sie hatte ja ganz früher, vor meiner
Zeit, bei Salander gearbeitet und war dann nach Köln gegangen. Vor
einem Jahr ist sie zurückgekommen, weil ihre Mutter krank wurde.
Elias erzählte oft von ihr, er freute sich, dass sie wieder da war,
er hing sehr an ihr, er hatte ja keine eigene Familie. Sonntags und
an den Feiertagen war er meistens bei ihr und ihrer Mutter, ich
glaube, er hat sich ein bisschen als Linas Ersatzvater
gefühlt.«
»Wissen Sie, ob Lina Pasche mit
Fräulein Salander befreundet ist?«
»Ich denke schon, neulich erzählte
Fräulein Anna in der Werkstatt, sie habe Fräulein Pasche auf der
Hardt getroffen und sich sehr darüber gefreut, und jetzt fahren sie
ja zusammen nach Helsinki.«
Hugo sah auf die Uhr, gerade mussten
die beiden Frauen in Düsseldorf in den Zug nach Hamburg gestiegen
sein.
»Wie ging das Gespräch zwischen
Salander und Schlipköter weiter?«
»Es endete sehr abrupt. Nachdem Herr
Salander das mit dem Heiraten gesagt hatte, knallte Elias seine
Zange auf den Tisch und schrie, das werde er sowieso nicht tun, das
würden alle Männer sagen, die junge Frauen verführten. Wenn sie ihr
Vergnügen gehabt hätten, würden sie sie dann doch sitzen lassen und
der Schande überantworten, so ähnlich drückte er sich aus. Außerdem
sei Lina gesellschaftlich erledigt, ob er sie heirate oder nicht,
eine Ehebrecherin, damit wolle doch niemand etwas zu tun haben.
Herr Salander versuchte, ihn zu beschwichtigen, aber er hatte wohl
keine Chance, Elias war so wütend, wie ich ihn noch nie erlebt
habe. Ich habe mich dann hinausgeschlichen, weil ich Angst hatte,
die beiden würden mich entdecken.«
»Und warum kommen Sie damit erst
jetzt? Das hätten Sie uns unbedingt gleich sagen
müssen.«
Die Stimme des Nähmädchens war
tonlos. »Ich weiß«, flüsterte sie, »ich habe seitdem auch keine
Nacht mehr richtig geschlafen. Ich hatte Angst, dass es Elias in
einen schrecklichen Verdacht bringen würde, deshalb habe ich nichts
gesagt. Und ich bin sicher, dass er es nicht war, zu so etwas wäre
er niemals in der Lage. Außerdem kam doch das Paket aus Finnland,
da konnte er doch gar nicht dran.«
»Solche Rückschlüsse müssen Sie
natürlich der Polizei überlassen, Fräulein Meier, ich denke, das
wissen Sie auch. Ich billige Ihr Verhalten zwar nicht, aber ich
danke Ihnen trotzdem für diese Aussage.«
Hugo stand auf und griff nach
Weitere Kostenlose Bücher