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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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die Amnesie, das Verdrängen unangenehmer Dinge als Schutz
vor Beunruhigung. Ich bin froh, Annakind, dass du diesen Wesenszug
nicht von ihr geerbt hast, du bist ja ganz das
Gegenteil. 

 

 
    4
    Die Schwester
    Carl Soderberg hatte sich wenig
verändert, ein paar Falten hatten sich um seinen Mund gelegt, sein
Haar war silbriger und dünner geworden. Weinend schloss er Anna in
die Arme.
    »Wie groß du geworden bist, kleine
Anna, trotzdem hätte ich dich unter Tausenden wiedererkannt. Pekkas
Tochter, unverkennbar. Warum hat es nur einen so schrecklichen
Preis gekostet, dass du endlich nach Helsinki gekommen
bist?«
    Auch Anna weinte und brauchte eine
ganze Weile, bis sie Lina vorstellen und die zierliche, weißblonde
Ulla Soderberg begrüßen konnte, deren blaue Augen ebenfalls
schwammen.
    Sie nahmen eine Droschke, ließen den
Hafen hinter sich und überquerten den majestätischen Senatsplatz,
der, eingerahmt von der hohen, breiten Treppe zum Dom, der
ebenfalls von dem Architekten Engel erbauten Universität und dem
Regierungspalais, seinem Ruf als einem der bedeutendsten Plätze
Europas alle Ehre machte. Sie fuhren ein Stück die schnurgerade
Aleksandersgatan hinunter und bogen nach rechts ab in die
Västra-Chaussee, vorbei an der riesigen Baustelle für einen neuen
Hauptbahnhof und am Nationalmuseum. Die Boulevards und
Jugendstil-Prachtbauten der finnischen Hauptstadt konnten sich
mühelos mit Berlin messen. Weiter ging es nach links in die
Mejlansgatan, die Ostsee tauchte wieder auf. Ihr Ziel war der Lilla
Fiskarviken am Nordrand der Stadt.
    »Auf deutsch heißt es kleine
Fischbucht«, erklärte Carl Soderberg, »direkt gegenüber von unserem
Grundstück liegt die Insel
Räholmen.«    
    Sie hielten vor einer
zweigeschossigen, mit Erkern und Türmchen verzierten Villa aus
hellblau gestrichenem Holz. Überall sah der rote Granit, auf dem
die finnische Hauptstadt erbaut war, aus der Erde heraus, auch
Soderbergs Haus lag auf einem zum Meer abfallenden großen Felsen,
der von Flechten und Moos überwuchert
war.   
    Das Haus war von einer Holzveranda
und rosa knospenden Rhododendronbüschen umgeben. Die Bäume standen
in hellgrünem Laub, auf den Beeten grünte und blühte es.
    »Hier wohnen wir nur im Sommer«,
sagte Ulla Soderberg mit ihrer freundlichen, hellen Stimme, »im
Winter ist es zu kalt, da gehen wir lieber in unsere kleine
Stadtwohnung.«
    Auf der Veranda und im weiß
gestrichenen Wohnraum lagen bunte, gewebte Flickenteppiche auf dem
Holzboden, geschwungene Korbmöbel waren um kleine Tische zu
Sitzgruppen angeordnet, Kommoden aus Mahagoni mit weißen,
bestickten Leinendecken belegt, dazwischen glänzten mit bunten
Sträußen gefüllte Keramikvasen, Schalen, Dosen und Kerzenleuchter
aus ziseliertem Silber.
    Lina war entzückt. »Wie hell, wie
geschmackvoll, ganz anders als unsere düsteren
Wohnzimmer.«
    »Die Finnen haben eine hohe
Wohnkultur, du weißt, wie gut Papa Räume einrichten
konnte.«
    Anna lächelte stolz und wünschte,
ihre Mutter, die immer abfällig über alles Finnische geurteilt
hatte, könnte dieses wunderschöne Haus sehen.
    »Wir müssen es uns drinnen gemütlich
machen«, sagte Ulla Soderberg, »unser Land ist ja draußen meistens
unwirtlich, Schnee, Frost und Dunkelheit von Oktober bis
Mai.«
    Anna und Lina bezogen ein
gemütliches Erkerzimmer und gingen, nachdem sie sich eingerichtet
hatten, hinunter auf die Veranda, wo Carl und Ulla Soderberg mit
Kaffee und frischen korvapuusti warteten, die bei Anna sofort ein heimeliges
Gefühl hervorriefen.
    »Wir möchten, dass ihr euch ganz wie
zu Hause fühlt«, sagte Soderberg feierlich, »außerdem sind wir Carl
und Ulla, hier in Skandinavien duzt man sich, wenn man sich gut
kennt, anders als in Deutschland. Wir erwarten noch einen Gast zum
Kaffee, deine Tante Minna Salander, sie muss jeden Augenblick hier
sein.«
    Anna schoss vor Überraschung das
Blut ins Gesicht. »Ihr habt Kontakt zu ihr? Kennt ihr auch meine
Schwester?«
    »Ja, wir kennen beide. Minna lebt am
Engelsplatsen, ungefähr eine halbe Stunde von hier, und Riikka hat
eine Wohnung an der Georgsgatan. Natürlich haben wir ihnen gesagt,
dass du kommen wirst. Minna war sehr bewegt, sie wollte dich sofort
sehen, der Tod Pekkas hat auch sie sehr betroffen.«
    »Und Riikka? Was ist mit
ihr?«
    »Ich glaube, sie muss sich erst an
den Gedanken gewöhnen, eine Schwester zu haben. Aber da ist Minna
schon, sie kommt durch den Garten.«
    Zwischen den Bäumen kam eine große,
schlanke

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