Die Reise Nach Helsinki
Frau den Hügel herauf, die um die vierzig sein mochte und
Pekka wie aus dem Gesicht geschnitten war: die Augen, das blonde
Haar, das sie zu einem Knoten im Nacken zusammengesteckt hatte und
von dem ihr glatte Strähnen über die Stirn fielen, die breiten,
hervorstehenden Wangenknochen, der weiche Mund, der federnde
Gang.
»Päivää.[ Guten Tag ]« Sie blieb vor Anna stehen und streckte die Hände aus, die
Tränen schössen ihr aus den Augen. »Kind«, stammelte sie nach einer
Weile, »Pekkakind, er guckt ja aus deinen Augen heraus. Wie gut,
dass du hier bist.« Sie sah nicht nur aus wie Pekka, sie sprach
auch wie er, kehlig und mit einem Akzent, als hüpften die Worte von
Stein zu Stein.
Ulla Soderberg beendete die
allgemeine Rührung, indem sie den Kaffee einschenkte und zu Tisch
bat.
Minna erzählte, dass sie
unverheiratet sei, seit zwanzig Jahren in Helsinki lebe und an
einem Gymnasium Deutsch und Englisch unterrichte. Annas Schwester
Riikka sei bei ihr aufgewachsen, führe jetzt aber ihr eigenes
Leben.
»Sie ist auch Lehrerin«, sagte
Minna, »für Deutsch und Biologie, sie arbeitet an der gleichen
Schule wie ich.«
»Warum ist sie nicht
mitgekommen?«
Minna lehnte sich zurück und
seufzte. »Für Riikka ist das alles sehr, sehr schwer, du wirst
verstehen, dass sie eine andere Sicht auf die Dinge hat, wenn du
ihre Geschichte kennst. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll,
ich glaube, wir werden tagelang reden müssen. Ich möchte ja auch alles über Pekka wissen, wie er
gelebt hat in eurem Elberfeld, wer seine zweite Familie
war.«
Ulla Soderberg sorgte für Nachschub
an Kaffee und Kuchen, später tischte Birrit, das Hausmädchen,
dunkles Roggenbrot, gesalzene Butter und eine Platte mit dünn
geschnittenem Lachs auf, der mit frischem Dill bestreut war.
Außerdem gab es warme Reispasteten und die süßen Fischhäppchen, die
Anna schon aus Soderbergs Paketen kannte.
Minna und Carl erzählten im Wechsel,
Anna und Lina hingen an ihren Lippen.
Pekka war mit achtzehn aus Tampere
nach Helsinki gekommen und hatte im Pelzhandel von Carl Soderberg
an der Esplanade als Kürschner angefangen. »Der begabteste junge
Mann, den ich jemals eingestellt habe«, sagte Carl, »er war ein
Naturtalent.« Weil die Felle, die ihnen bisher der lappische
Händler Nilas Niolpas aus Inari geliefert hatte, immer teurer
wurden, fuhr Pekka im Sommer 1885 nach Lappland, um neue Quellen
aufzutun. Er nahm Kontakt zu dem Pelzjäger und Rentierzüchter Matte
Turi auf und verliebte sich in das Land und in die achtzehnjährige
Marja Turi, die Schwester Mattes. Ein Jahr später wurde Riikka
geboren.
»Niolpas, ist das nicht der, der
gedroht hat wegen der Pelztierzucht? Du hast Papa davon
geschrieben.«
»Ja«, sagte Carl, »es gibt ihn immer
noch, und er ist ein finsterer Geselle. Er beutet die Lappen aus,
indem er ihnen die Felle für einen Hungerlohn abnimmt und uns hier
in Helsinki teuer verkauft, zumindest versucht er das immer wieder.
Im letzten Winter kam er zu mir in den Laden, obwohl ich mit ihm
schon lange keine Geschäfte mehr mache. Er hatte wohl von den
Plänen mit der Züchterei gehört und sagte mir, wenn wir das täten,
wenn wir anfangen würden zu züchten, müssten die Lappen verhungern,
aber vorher würden sie alles niederbrennen. Ich habe das der
Polizei gesagt, als sie wegen Pekka hier war, sie haben Niolpas
auch gesucht, aber soviel ich weiß, ist er zurzeit nicht zu finden.
Wie viele Lappen geht er im Sommer hoch in den Norden, in die
norwegischen Berge, da gibt es so viele Schlupfwinkel, dass man mit
dem Suchen gar nicht erst anzufangen braucht. Sie wollen warten,
bis er im August, September zurückkommt.«
»Aber steht er denn nicht in
Verdacht?« Zwischen Annas eng zusammenstehenden Augen bildete sich
eine Falte.
»Die Polizei in Inari hat
festgestellt, dass er schon Mitte April in den Norden gegangen ist,
dafür gibt es wohl Zeugen, während das Paket ja erst Anfang Mai in
Helsinki aufgegeben wurde«, sagte Minna, »danach kann er es nicht
gewesen sein.«
»Nachdem Riikka geboren war«, fuhr
Carl Soderberg fort, »reiste Pekka zwischen Helsinki und Lappland
hin und her, er fühlte sich zerrissen, weil er einerseits bei uns
im Geschäft unabkömmlich war, andererseits bei seiner Familie sein
wollte. Dann brachte er Marja und die Kleine mit nach Helsinki.
Pekka hat Marja sehr geliebt, und er war seiner Tochter ein
zärtlicher Vater. In dem Jahr, in dem sie hier gelebt haben,
besuchten sie uns an den
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