Die Reise Nach Helsinki
vergeblich nach Pekka, bis ich
erfuhr, dass er nach Deutschland gegangen war. Durch einen Zufall
lernte ich Soderbergs kennen, ich traf sie bei einer Einladung, sie
hörten meinen Namen, und ihnen fiel die Ähnlichkeit mit Pekka auf,
da sprachen sie mich an. Sie erzählten mir, dass Pekka eine Tochter
in Lappland habe, die nach Helsinki kommen und hier zur Schule
gehen wollte. Für mich war es sofort klar, dass sie bei mir leben
sollte, ich empfand es als Fügung, dass ich Carl und Ulla
ausgerechnet in diesem Augenblick kennen lernte. Sie gaben mir auch
Pekkas Adresse in Elberfeld, und ich nahm mir vor, ihm zu
schreiben, wenn seine Tochter bei mir war. Und dann stand sie an
der Hand von Matte vor der Tür, mit stramm geflochtenen Zöpfen
unter ihrer bunten Mütze, in ihrem Silberschmuck und ihrem roten
Sonntagskleid, das ihre Mutter ihr noch genäht hatte und aus dem
sie fast herausgewachsen war. Sie war ein ungewöhnlich starkes und
kluges Kind, sie konnte gut Finnisch lesen und schreiben, obwohl
sie in Lappland Samisch gesprochen und nur von dem durchreisenden
Dorfschullehrer unterrichtet worden war, sie lernte schnell
Schwedisch und hörte mir die deutschen und englischen Vokabeln ab,
die ich für das Studium lernen musste. Dabei eignete sie sich ganz
nebenbei auch diese Sprachen an.«
»War es nicht schwierig für dich,
plötzlich ein so großes Kind zu haben?«, warf Anna ein.
»Sie war mir sofort nahe«, sagte
Minna, »sie war das Kind meines Bruders, sie war mein Fleisch und
Blut, das war überhaupt keine Frage. Ich liebte sie, und sie hat es
mir auch leicht gemacht, sie war verständig und hat sich fast
allein versorgt. Das einzige Problem war, dass sie niemals über
ihren Vater sprechen wollte, sie fragte nicht nach ihm, und ich
durfte ihn nicht erwähnen, sie lehnte es auch ab, den Namen
Salander zu tragen, und ich musste sie unter Turi in der Schule
anmelden, heute noch nennt sie sich so. Sie wollte auch keinen
Kontakt zu Soderbergs, weil sie wusste, dass Carl mit Pekka
korrespondierte. Deshalb sah ich davon ab, Pekka zu schreiben, ich
wusste nicht, wie sie reagieren würde, wenn er sich bei uns
meldete. Als sie vierzehn wurde, machte ich noch einmal einen
Versuch, aber sie bekam einen Wutanfall und tobte, sie habe ihn ein
für alle Mal aus ihrem Leben gestrichen, niemals mehr wolle sie an
den Schmerz erinnert werden, den er ihr zugefügt habe, niemals mehr
wolle sie an ihn denken. Das hat mir sehr wehgetan, er war ja
schließlich mein Bruder, der einzige Verwandte, den ich
hatte.«
Minna rieb sich die Augen, sie
wirkte erschöpft. »Ich glaube, Riikka hat in besonderem Maße das,
was wir Finnen sisu nennen, ihr Deutschen nennt es wohl Hartnäckigkeit oder
Sturheit, und ich habe dann akzeptiert, dass sie keine andere
Möglichkeit hatte, damit fertig zu werden. Deshalb war ich auch auf
ihrer Seite, als Pekka zwei Jahre später über Soderbergs bei uns
anfragen ließ, ob er uns in Helsinki besuchen könne.«
»Das weiß ich«, sagte Anna, »es
stand in einem der Briefe von Carl, die die Polizei hat übersetzen
lassen. Damals, es muss genau zu dieser Zeit gewesen sein, hat er
viel über Finnland gesprochen, das weiß ich noch genau, und ganz
plötzlich hörte er auf damit.«
»Es ging nicht, weil Riikka es nicht
wollte«, fuhr Minna fort, »sie hat wieder geschrien und gedroht,
wenn er auftauche, gehe sie nach Inari oder noch weiter nach
Norwegen, sie kenne die Plätze der Lappen, da würde sie keiner
finden. Sie brauche keine Schwester und noch weniger einen Vater,
sie habe einen, und der genüge ihr. Sie war in einem schrecklichen
Zustand, zwei Tage lang hatte sie hohes Fieber, und so habe ich
Carl gebeten, er möge Pekka schreiben, dass wir ihn nicht sehen
wollten, dass die Vergangenheit für uns abgeschlossen sei. Es hat
mich fast zerrissen, weil ich natürlich wusste, dass Pekka keinen
zweiten Versuch machen würde, aber ich dachte, so ist es besser für
uns alle, für mich auch, sein Besuch hätte ja auch bei mir alte
Wunden wieder aufgerissen.«
»Hast du das jemals
bereut?«
»Tausendmal, und jetzt, wo er nicht
mehr da ist, umso mehr. Wie viele Nächte habe ich schon darüber
geweint! Aber so sind wir Finnen, wir vergraben die Dinge in uns
und lassen sie nicht mehr heraus, wenn es einmal gesagt und
beschlossen ist, dann bleibt es auch so. Ihr Deutschen seid da
vielleicht anders.«
»Da bin ich nicht so sicher«, sagte
Anna, »ich glaube, in punkto Starrsinn können wir es durchaus mit
euch
Weitere Kostenlose Bücher