Die Reise Nach Helsinki
Nachmittag heulend auf dem Sofa
gelegen hat. Sie hat von ihm geträumt, genau zu der Zeit, als es
passiert sein muss, er kam zu ihr und küsste sie und sagte, er sei
nie fort gewesen, dann weinte er Diamanten, von denen sie
überschüttet wurde, und ging fort in ein weißes Licht. Sie konnte
sich überhaupt nicht beruhigen über diesen Traum. Er hat immer
Gutes gewollt, sagt sie, er war kein böser Mensch. Trotzdem hat er
diese Schreckensspur hinter sich hergezogen.
*
Am Fiskarviken war die Sauna bereits
angeheizt, duftende Rauchschwaden wehten durch den Garten. Ulla
Soderberg weihte Anna und Lina in das urfinnische Ritual des
Saunierens ein, das, wie Ulla behauptete, Schmerzen und Gebrechen
jeder Art, aber auch Müdigkeit und Antriebslosigkeit kuriert und
widerstandsfähig gegen Krankheiten macht. Minna kam, und sie
schrubbten sich im Waschraum des Saunahauses gemeinsam mit Seife
und harten Bürsten ab. Zuerst war ihnen die Nacktheit peinlich,
aber das gab sich schnell, als sie auf den Holzbänken saßen und
schwitzten. Minna schöpfte mit einer hölzernen Kelle immer wieder
Wasser aus einem Eimer und goss es auf die Steine auf dem Holzofen,
zischend breitete sich heißer Dampf aus, der ihnen zuerst fast den
Atem nahm. Nach zehn Minuten wurde die Hitze zu groß, sie gingen
hinaus und übergössen sich gegenseitig mit kaltem Wasser, dann
wickelten sie sich in große Saunatücher und ruhten in den
Korbsesseln. Ein wohliges Kribbeln breitete sich bis in die
Zehenspitzen aus. Anna erzählte von dem unendlichen Streit ihrer
Eltern um den Einbau einer Sauna in Elberfeld. Pekka hatte immer
vehement den Wunsch geäußert und von den Segnungen geschwärmt, Emma
hatte dagegen gezetert, indem sie Anstand und Moral
beschwor.
»Hätte er sich doch durchgesetzt«,
seufzte Anna, »dann wären wir schon viel früher in den Genuss
gekommen.«
Minna band Birkenschösslinge zu
kleinen Sträußen zusammen, mit denen sie sich beim zweiten
Durchgang gegenseitig auf Rücken und Arme schlugen. Ihre Haut
brannte, ein frischer, herber Duft verbreitete sich, und sie hatten
das Gefühl, dass sich ihre Lungen mit reiner Gesundheit füllten.
Nach dem dritten Durchgang nahmen sie ein Bad in der Ostsee und
fühlten sich wie neugeboren. Sie entspannten sich auf der Veranda,
tranken Wasser und aßen den Abendimbiss, den ihnen Birrit
hingestellt hatte.
»Erzählt mir von Pekka«, sagte
Minna, »wie hat er gelebt? Einiges weiß ich ja schon von Carl. Ging
es ihm gut in Deutschland?«
Anna berichtete, und es erfüllte
Minna mit Stolz, dass ihr Bruder ein so erfolgreicher Geschäftsmann
und ein so guter Vater gewesen war. Dann erzählte sie von ihrer
Kindheit mit Pekka, von ihren Spielen in den Wäldern und an dem
See, an dem das Sommerhaus ihrer Eltern gestanden hatte. Beide
hingen mit großer Liebe an ihrer Mutter Marjatta, die starb, als
Minna zehn und Pekka sechzehn war.
»Wir hatten eine gute, sanfte
Mutter, und es war ein harter Schlag«, sagte Minna, »nach ihrem Tod
wurde es sehr, sehr schlimm für uns beide. Vater benutzte uns als
Arbeitstiere, davor hatte Mutter uns immer zu schützen versucht.
Morgens gingen wir in die Schule, direkt danach musste Pekka bis
spätabends in der Kürschnerei schuften, er hat in diesen Jahren nur
Arbeit gekannt. Und mich stellte Vater oft in den Laden, obwohl ich
kaum über die Theke gucken konnte.«
»Ist Papa deshalb aus Tampere
weggegangen?«
»Ich muss es dir wohl erzählen,
Kind, es ist deine Familie, du hast ein Recht darauf, zu erfahren,
was vorgefallen ist. Auch wenn es kein gutes Licht auf deinen
Großvater Heikki wirft.« Minnas Augen waren dunkel, und sie sah
gequält aus.
»Nach meiner Geburt war unsere
Mutter fast jedes Jahr wieder schwanger gewesen, konnte aber keines
der Kinder mehr austragen und wurde mit jeder Fehlgeburt schwächer.
Die Ärzte hatten Vater beschworen, sie zu schonen, aber das hat ihn
überhaupt nicht interessiert. Nicht nur, dass er sie immer wieder
schwängerte, er schlug sie auch, wenn er getrunken hatte, genau,
wie er Pekka und mich schlug, wenn ihm die kleinste Kleinigkeit
nicht passte. Pekka hatte große Angst um Mutter, daran erinnere ich
mich gut, er war blass vor Wut, wenn sie wieder blutend im Bett lag
und man förmlich sehen konnte, wie das Leben aus ihr herausfloss.
Er ist ein Tier, sagte er manchmal über unseren Vater, eine Bestie,
ein Barbar, er wird sie noch töten.
Bei Mutters Beerdigung hatte ich das
Gefühl, ich selbst würde mit
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