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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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Gäste
übersetzen sollte. Terttu, eine kinderlose Witwe, war Lehrerin für
Deutsch und Geschichte, um die vierzig, klein, temperamentvoll,
blond und drall und strahlte eine unbändige Fröhlichkeit aus. Ihre
hellblauen Augen waren ununterbrochen in Bewegung, sie schwatzte
und lachte und barst vor Neugier auf die beiden Deutschen, vor
allem auf Minnas Nichte.
    Teilnehmend erkundigte sie sich, wie
es Anna gehe, und nahm ihre Hände.
    »Welch einen schrecklichen Verlust
ihr erleiden musstet, aber wie gut, dass in diese
Familiengeschichte endlich Bewegung gekommen ist und dass du, mein
Kind, deine Wurzeln kennen lernst. Ich hoffe und wünsche euch
allen, dass sich die Sache aufklärt, dass ihr Frieden findet und
alles zu einem guten Ende kommt.«
    Minna eröffnete die Versammlung und
stellte die deutschen Gäste vor, die freundlich aufgenommen wurden.
Zunächst begann sie, engagiert in das Thema einzuführen, zitierte
Untersuchungen über Abtreibungen und die Sterblichkeitsrate von
Frauen und Kindern und die Forderungen der Frauenbewegung.
Plötzlich stockte sie, ihre Augen flackerten und schweiften vom
Auditorium weg zum Eingang, der vom Treppenhaus durch eine große
Tür mit Milchglasscheiben abgetrennt war. Anna folgte ihrem Blick,
hinter dem Glas war vor dem diffusen Flurlicht ein Schatten zu
erkennen, der einer zierlichen Frau gehören konnte, dann eine
zweite Silhouette, bei der Anna fast der Atem stockte. Sie kannte
den kantigen Kopf, der Russe, da war er wieder, sie wusste es
instinktiv. Die Figuren drehten sich vor der Scheibe und schienen
zu diskutieren, Anna glaubte sogar, Stimmen zu hören, dann lösten
sie sich einfach auf. Wieder schoss die Angst hoch. Er sollte doch
in Reval sein, weshalb tauchte er jetzt plötzlich hier auf? Ihr
Herz klopfte wie rasend, und sie konnte sich erst bei dem Gedanken
an Hugo Blanks morgige Ankunft halbwegs beruhigen.
    Minna verhaspelte sich, fing sich
dann wieder und gab schnell Selma Lundblom das Wort. Die
weißhäutige zarte Schönheit hatte ihre roten Haare zu einem wirren
Knäuel auf dem Hinterkopf zusammengesteckt, aus dem sich, während
sie sprach, lange Strähnen lösten und ihr schmales, madonnenartiges
Gesicht umrahmten. Sie sprach Schwedisch, und ihre dunkle Stimme
überschlug sich manchmal während der flammenden Rede, in der sie
bedrückende Fakten nannte. Schätzungsweise jede vierte
Schwangerschaft endete mit einer Abtreibung, alle Frauen, die nicht
mit Unfruchtbarkeit oder einem impotenten Mann gesegnet waren,
setzten ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel, wenn sie nicht
zehn, fünfzehn Kinder gebären wollten. Das ruinierte sie nicht nur
körperlich, sondern zwang sie auch, mit anzusehen, wie die
Überlebenschancen der Kleinen sanken, je zahlreicher sie
wurden.
    »Sie müssen ihre eigene Leibesfrucht
verkommen und verhungern lassen, sie haben keine andere Wahl. Es
ist ein gesellschaftlicher Skandal, dass die Frauen zu
Gebärmaschinen und Mörderinnen degradiert werden, weil sie die
Verhütungsmittel nicht bezahlen können und weil die Männer sich zu
schade sind, ein Kondom überzuziehen!«
    Selma Lundblom hatte die Stimme
gehoben und schlug mit der Faust auf ihr Stehpult. »Wir fordern ab
sofort, dass die Männer ihre Verantwortung für die
Geburtenkontrolle wahrnehmen und der Staat alle Kosten für
Verhütungsmittel bezahlt. Und zwar sichere, gesunde
Verhütungsmittel. Es gibt nicht nur Kondome, es gibt auch das
Diaphragma, und seit drei Jahren experimentiert man mit einer
Spirale, die in die Gebärmutter eingesetzt wird und
Schwangerschaften verhindern soll. Wir fordern, dass die Forschung
intensiviert wird, es darf nicht länger sein, dass wir von
Schränken springen, uns in der Vagina herumstochern oder uns mit
Arsen, Phosphor, Blei oder Chinin vergiften müssen, wie es Tag für
Tag Millionen und Abermillionen Frauen tun, in Küchen und
Hinterzimmern auf der ganzen Welt. Viele Tausende sterben dabei
oder schädigen sich für ihr weiteres Leben. Das lassen wir nicht
länger zu, das verletzt die Menschenwürde, damit muss endlich
Schluss sein!«
    Seimas Stimme war laut und rau
geworden, Terttu übersetzte atemlos, die Zuhörerinnen klatschten
und pfiffen. 
    Minna war immer noch angespannt, sie
hatte der Tür mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem Vortrag, und bei
der anschließenden Diskussion, die sie leitete, war ihre Stimme
belegt. Danach verfassten die Frauen einen Aufruf, den sie an die
Zeitungen von Helsinki schicken wollten.
    »Wahrscheinlich druckt

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