Die Reise Nach Helsinki
Blick auf die Ostsee niedergelassen hatten. Die
Wolkendecke lichtete sich, und die Sonne brach immer wieder
hervor.
»Im Prinzip kannte nur Soderberg die
Adresse, und er sagt, aus seiner Hand habe sie niemand bekommen.
Die einzige Möglichkeit, die ich mir vorstellen kann, ist, dass
jemand sie gesehen hat, als er eine Frachtsendung für Salander
aufgegeben hat, das war jedes Jahr im Herbst der Fall.«
»Hat Soderberg keine
Angestellten?«
»Er beschäftigt fünf Kürschner und
einige Nähmädchen, im Geschäft arbeiten drei Verkäuferinnen, die
aber mit diesen Dingen nichts zu tun haben. Das Rechnungswesen und
die Verbuchung macht allein Frau Soderberg, sie kannte natürlich
die Adresse auch. Sicher wäre es für jemanden, der das unbedingt
gewollt hätte, möglich gewesen, die Adresse aus den Ordnern zu
beschaffen, aber sie lag nicht öffentlich herum.«
»Danach müsste es jemand gewesen
sein, der planmäßig vorgegangen ist, nicht die spontane Tat eines
Verrückten.«
Hohenstein hatte den beiden jungen
Kollegen zuerst missmutig zugehört, als ihm jedoch eine bildhübsche
Blondine mit weißem Häubchen, Spitzenschürze und dickem, lockigem
Haarknoten knicksend ein Bier hinstellte, heiterte sich seine Miene
auf. Als sie dann noch mit Platten voller Heringe, Zwiebeln und
dunklem Roggenbrot mit Butter erschien und sie den Männern
strahlend servierte, schien seine Welt wieder in
Ordnung.
»Lassen Sie uns doch mal alles
zusammentragen, was wir an Erkenntnissen und Vermutungen haben«,
sagte Hugo mit einem Seitenblick auf seinen
Vorgesetzten. »Auf der Polizeischule haben wir gelernt, dass man
die ermittelten Tatsachen immer mal wieder aus einer anderen
Perspektive beleuchten und die Hypothesen infrage stellen
sollte.«
»Wir sollten uns auch die
Vorgeschichte der Tat noch einmal vor Augen führen«, sagte Eino
Plosila, »vielleicht finden wir da mögliche tatauslösende Momente,
die wir bisher noch nicht bedacht haben.«
»Dann machen Sie mal, zeigen Sie
mal, was Sie auf Ihrer Polizeischule gelernt haben.« Hohenstein
nahm einen tiefen Schluck und lehnte sich zurück, er musste von den
Zwiebeln aufstoßen und tat sich keinen Zwang
an.
Hugo machte den Anfang. »In
Elberfeld stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Das Opfer
lebte dort seit einundzwanzig Jahren, es war verheiratet und hatte
eine Tochter, die kurz vor dem Mord nach einem halbjährigen
Aufenthalt in Berlin wieder nach Hause kam. Mit im Haushalt lebten
die Ehefrau und die unverheiratete Schwägerin. Die Ehe war, nach
allem, was wir wissen, in den letzten Jahren sehr schlecht. Es gibt
auch eine Situation, die sozusagen klassischerweise tatauslösend
sein könnte. Ungefähr als die Tochter nach Berlin ging, schaffte
das Opfer sich eine Geliebte an, Fräulein Pasche, die jetzt auch
hier in Helsinki ist, das sagten wir Ihnen ja schon. Hinsichtlich
ihrer Person haben sich bisher noch keine Verdachtsmomente oder
möglichen Motive ergeben, etwa dass sie von Pekka Salanders Tod
profitiert hätte. Das tun einzig und allein die Tochter und die
Ehefrau, die jeweils zur Hälfte erben, die Schwägerin bekommt eine
großzügige Apanage. Vor etwa drei Monaten ertappte der
Kürschnermeister von Herrn Salander, der gleichzeitig der Onkel von
Fräulein Pasche ist, Herrn Salander und Fräulein Pasche in
flagranti. Herr Schlipköter, das ist der Kürschner, war sehr
erbittert darüber, er hängt an Fräulein Pasche und sah sie durch
Herrn Salander in den Dreck gezogen, so könnte man es vielleicht
sagen. Außerdem hat er mir gestanden, er habe sich vor vielen
Jahren für die Tante von Fräulein Salander interessiert, für
Fräulein Brüninghaus, die aber wohl nur Augen für Herrn Salander
gehabt habe, der überhaupt bei Frauen sehr gut angekommen sein
muss. Schlipköter hätte also auch ein Motiv. Kurz danach erhielt
Fräulein Pasche einen Drohbrief mit dem Inhalt, sie solle die
Beziehung zu Herrn Salander sofort beenden, sonst werde man sie
bloßstellen. Fräulein Pasche vermutet, dass Frau Emma Salander die
Urheberin des Briefes ist, weil sie deren Schrift zu erkennen
glaubte, allerdings gibt es darüber keine Sicherheit, denn das
Beweismittel wurde von der Zeugin vernichtet. Fräulein Pasche sagt,
sie habe sich unter anderem wegen der Entdeckung durch den Onkel
und wegen des Briefes etwa vier Wochen vor der Tat von dem Opfer
getrennt. Die Ehefrau hat uns gegenüber die Tatsache der Geliebten
allerdings nicht erwähnt, wir vermuten, dass ihr das
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