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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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Pekka machte
mit uns beiden die großen Wanderungen, weil Emma immer Migräne
hatte. Zum Glück warst du im Bett, wenn er abends heftig dem
badischen Wein zusprach, wenn er Viertelliter um Viertelliter in
sich hineinkippte und dabei in immer tiefere Depressionen fiel. Das
war eine ganz, ganz schlimme Zeit, und ich habe Tag und Nacht
darüber nachgedacht, wie ich ihm helfen könnte. Als wir wieder zu Hause waren, stürzte Pekka sich noch
mehr als vorher in die Arbeit, er fuhr nach Paris und London,
später auch nach Rom, da nahm er dich ja mit. Er holte sich
Anregungen für die exklusivsten Modelle, er schaffte sich eine
Fotografieausrüstung an und brachte Aufnahmen von den wunderbaren
Geschäften und eleganten Pelzen in den Metropolen mit. Unsere Leute
in der Kürschnerei nähten und nähten, es gab Wochenend- und
Nachtschichten, und unsere Umsätze stiegen und stiegen, das war die
Zeit, in der Pekka richtig reich wurde. Er kaufte die Häuser am
Wall, die jetzt dir und Emma ein angenehmes Leben sichern werden,
aber immer wieder sagte er zu mir, wenn wir abends zusammensaßen,
dass man das Wichtigste für Geld nicht bekommen könne, das
Wichtigste sei die Familie. Du hast eine Familie, Pekka, sagte ich
dann, eine Frau und eine Tochter. Und ich bin ja auch noch da,
ergänzte ich für mich, obwohl ich mir nie anmaßte, für Pekka
wichtig zu sein. Dazu die ganze Belegschaft im Laden, alle liebten
ihn, und Elias bewunderte ihn regelrecht, was Größeres als Pekka
hat es für ihn, glaube ich, nie gegeben. Meine Frau liebt mich
nicht, und meine Tochter wird immer größer, auch sie wird mich
eines Tages verlassen, weinte er, außerdem sind sie nur die Hälfte,
die andere Hälfte ist abgeschnitten, als hätte man mir einen Arm
und ein Bein amputiert, so fühle ich
mich.        
    Ich bin sicher, dass Pekka auf
seinen Reisen die eine oder andere Frau kennen gelernt hat, aber es
kann nichts Ernstes gewesen sein, denn er kam immer wieder gerne
nach Hause, man hatte das Gefühl, er freue sich, auf den Laden, auf
das Vertraute und besonders natürlich auf seine Tochter. Wir hatten
unsere Rituale entwickelt, Emma saß nach dem Abendessen im Salon
und las oder kurbelte an dem Grammophon herum, das wir gerade
bekommen hatten, Pekka machte im Kontor die Bücher, und ich saß bei
ihm, sah Waren durch und listete Bestellungen auf. Er trank Wein
und erzählte mir aus der großen, weiten Welt, und wenn er betrunken war und Emma schon im Bett, verfiel er
in seine Trauerlitanei, nüchtern hat er niemals darüber gesprochen.
Alles, alles würde ich geben, Louiss, wenn das wieder gut werden
könnte, wenn ich meine Tochter und meine Schwester sehen dürfte.
Nur sehen, jammerte er, das reicht mir schon, was für Menschen sie
geworden sind, und küssen möchte ich sie, sie einmal noch in meinem
Leben an mein Herz nehmen, und wenn ich danach sterben müsste. Das
sagte er wortwörtlich, es läuft mir kalt den Rücken herunter, wenn
ich darüber nachdenke. Er sprach in dieser Zeit überhaupt viel vom
Tod, allerdings war mein Eindruck nie, dass er Angst davor
hatte.
    Ich sitze in der Mitternachtssonne
in einem Nachen über dem heiligen See hoch oben im Norden, sagte er
manchmal, wenn er sehr betrunken war, der hat ein Loch in der
Mitte, wie das Rauchloch einer Kote, darunter liegt ein zweiter
See, in dem die Totengeister hausen, in ihn gleite ich hinab,
zusammen mit den Fischen, ich gehe nur von einer Welt in die
andere, ganz sanft wird es sein, und später sitze ich dann zwischen
den Sternen. Gebe Gott, dass seine Vorstellung richtig war, sie hat
doch sehr viel Tröstliches.
    Vor einem guten halben Jahr, du
warst gerade nach Berlin gegangen, war es dann ganz plötzlich
vorbei mit unseren vertrauten Abendstunden. Pekka veränderte sich,
er sah entspannter aus und wirkte, als habe er neuen Lebensmut
gefasst. Aber er sprach nicht mehr mit mir, wenn ich mich zu ihm
setzte, von einem Tag auf den anderen war unsere Vertrautheit wie
abgeschnitten. Er behandelte mich mit kühler, oberflächlicher
Freundlichkeit, das hat mich am meisten verletzt, er las die
Zeitung oder vertiefte sich in seine Zahlenkolonnen, er trank auch
kaum noch Wein. Außerdem ging er zwei- bis dreimal die Woche gegen
Abend weg und kam erst tief in der Nacht zurück. Er habe in Barmen
einen hervorragenden Zeichner gefunden, mit dem entwerfe er neue
Modelle, sagte er uns. In der Tat gab Pekka
den Kürschnern immer wieder neue Schnitte, sodass Emma und ich die
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