Die Reise Nach Helsinki
jeden Kontakt zu mir ab und benimmt sich
äußerst befremdlich.«
Hugo schwieg, es fiel ihm schwer,
seinen Eindruck von Riikka Turi wiederzugeben. »Sie ist sehr schön
und sehr stolz«, sagte er schließlich, »darin gleicht sie im
Übrigen ganz ihrer Schwester.«
»Halten Sie es für möglich, dass sie
etwas mit der Sache zu tun hat?«
»Wenn ich das wüsste, bei ihr
versagt mein Instinkt vollkommen. Sie verhält sich wirklich
sonderbar und macht sich verdächtig, aber gerade deshalb glaube ich
es eher nicht. Natürlich behalten wir sie im Auge, das ist ja
klar.«
»Sie hat es nicht gut gehabt«, sagte
Anna, »mein Vater hat sie verlassen, und sie ist sehr arm bei den
Lappen aufgewachsen, bevor sie nach Helsinki kam, sie hat Grund,
ihn zu hassen. Dagegen habe ich wie im Paradies gelebt.«
»Ich glaube nicht, dass man sie
bemitleiden muss, sie macht einen selbstbewussten und couragierten
Eindruck, auch darin ist sie ihrer Schwester ähnlich«, lächelte
Hugo. »Es wäre übrigens gut, wenn Sie morgen mit Fräulein Pasche
ins Präsidium kommen könnten, um die Fotokartei durchzugehen.
Vielleicht entdecken wir ja diesen russisch aussehenden Mann, der
Ihnen immer wieder über den Weg gelaufen ist.«
»Er ist in Reval ausgestiegen«,
seufzte Anna, »und ob er es war, den ich im Arbeiterhaus gesehen
habe, ist höchst fraglich. Das alles ist doch mehr als verwirrend,
manchmal glaube ich, dass nur noch der Himmel uns helfen
kann.«
»Genau dorthin habe ich übrigens
einen Wunsch geschickt«, sagte Hugo verlegen und legte vorsichtig
seinen Arm um ihre Schultern.
»Und, hat er sich
erfüllt?«
»Genau weiß ich es noch nicht«,
flüsterte er an ihrem Ohr, »ich weiß nicht, ob die nordischen
Götter mir gewogen sind, oder die Göttinnen, davon gibt es doch in
Skandinavien eine ganze Menge.«
»Es gibt alles, Hexen, Göttinnen und
vor allem viele Seherinnen, darin sind die Nordischen besonders
begabt.«
»Und, was sehen sie
vorher?«
»Oh, ich weiß nicht, bestimmt jede
Menge Komplikationen.«
»Sehen sie auch eine
Lösung?«
Anna drehte sich zu ihm und
lächelte. »Sie sind feige, Herr Sergeant, von einem Vertreter der
Staatsgewalt erwartet man Mut und Initiative und nicht, dass er
eine Frau mit Fangfragen in die Ecke treibt.«
»Entschuldigung.« Er legte seine
Wange an ihre. »Das wollte ich nicht. Ist dir das
angenehm?«
»Ja«, hauchte Anna.
»Und das? Und das?«
Er gab ihr Küsse auf den breiten,
geschwungenen Mund, bis sie sie erwiderte, sein Gesicht mit der
weichen, von der Luft ein wenig feuchten Haut in ihre Hände nahm,
durch seine Locken fuhr, seine Arme, seine Schultern, seinen
Nacken, seine samtene Haut streichelte.
»Ich wollte es sofort«, flüsterte
er, als sie innehielten, »gleich beim ersten Mal habe ich gedacht,
so ein Mund, wenn man den küssen dürfte.«
Ihre Küsse wurden vertrauter,
erregter, überwältigender, schließlich machte Anna sich los, sie
atmete schwer, ihre Haare hatten sich gelöst.
»Meinst du, es ist in Ordnung, wenn
der Sergeant mit der Tochter des Opfers im Wald
herumknutscht?«
»Nein«, murmelte Hugo und vergrub
sein Gesicht an ihrem Hals, »das ist ganz und gar nicht in Ordnung.
Aber es war irgendwie nicht abzuwenden, so was nennt man höhere
Gewalt.«
Anna machte sich los, sie zitterte
vor Aufregung und Anspannung. »Wir müssen zurück«, sagte sie,
»sonst merken es alle.«
Sie gingen den Pfad hinunter, die
Geigenklänge wurden lauter, Windlichter blinkten durch die Bäume.
Anna blieb hinter einem dicken Stamm stehen und zog Hugo an sich,
sie küssten sich wieder und wieder, atemlos, als wären sie kurz vor
dem Ertrinken.
*
»Es endet am Küchentisch oder
bestenfalls im Salon«, beharrte Anna, »um mich herum wuselt eine
Schar Kinderchen, und ich warte, bis er sich endlich bequemt, nach
Hause zu kommen. Und nachdem ich von den ganzen Geburten aus dem
Leim gegangen bin, kann ich froh sein, wenn er sich keine Geliebte
anschafft. Nein, nein und nochmals nein!« Sie blieb auf der Straße
stehen und sah Lina flammend an. »Ich werde seinem Werben nicht
erliegen, ich werde einen Beruf ausüben und niemals das langweilige
Leben einer Ehefrau führen.«
»Du hast doch gesagt, dass er nach
Berlin oder Dresden will, das sind Großstädte, da könnt ihr
zusammenleben, ohne zu heiraten, da gibt es doch nicht die Zwänge
wie in Elberfeld. Ihr werdet euch blendend verstehen und ergänzen.
Und wer sagt denn, dass du gleich Kinder kriegen musst, dazu bist
du doch
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