Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
dreißig Meter unterhalb der Decke. In dieser Höhe flog die Maschine in einer Häuserschlucht weiter. Die Hochhäuser waren hier oben bereits verjüngt und ließen mehr Spielraum für den Schrauber. Martin versuchte die Straße unter ihnen auszumachen, aber er sah nichts. Das lag einerseits wohl an den schlechten Lichtverhältnissen, vermutete er, aber auch an der Höhe der Bauten. Der Felsendom, in dem Stahldorf lag, war riesig und er schätzte die Höhe der Häuser auf über hundert Stockwerke – nicht eingerechnet die Etagen, die sich im Felsen der Decke fortsetzten.
Plötzlich begann der Dampfschrauber zu sinken. Martin bemerkte, dass sich der Lärm der Rotoren und der Maschine geändert hatten. Simon Dampfbusch steuerte den Schrauber immer tiefer in die Häuserschluchten hinein und bald wurde auch die Straße unter ihnen sichtbar. Sie war leer.
»Er müsste hier irgendwo sein, wenn sie ihn haben liegen lassen«, rief ihm Thomas ins Ohr. »Aber vermutlich ist er schon längst im Friedhof. Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig und können ihn vor dem Dampfhammer retten.«
Vor ihnen tauchte bereits der Bahnhof mit seinen Bogendurchgängen und der großen Glaskuppel auf. Der Pilot in Frack und Zylinder steuerte den Schrauber gekonnt darüber hinweg.
»Wo fliege wir hin? Da ist nichts mehr, hinter dem Bahnhof«, rief Martin Thomas ins Ohr. Doch da kippte der Schrauber über die linke Seite ab und wie in einem defekten Aufzug sausten sie knapp hinter dem Bahnhof in die Tiefe. Martin musste seinen Bowler festhalten, damit im dieser nicht vom Kopf flog und er fragte sich unwillkürlich, wie es Simon Dampfbusch schaffte, dass ihm sein Zylinder nicht abhandenkam. Das Fluggerät sank in eine Felsspalte, die sich immer mehr erweiterte, je tiefer sie kamen. Auch wurde es immer heller. Lichtfinger von starken Scheinwerfern zerschnitten die Dunkelheit und es wurde deutlich, dass sie in eine mächtige Felskaverne gelangten, die sich unterhalb des Bahnhofs befand. Die Scheinwerfer gehörten zu mächtigen Maschinen, die auf dem Boden der Felskaverne standen, mitten in einem Gewirr aus Blechteilen, Rädern und Rohren. Es sah unter ihnen aus wie auf einem Schlachtfeld, auf dem Tausende von Robotern gegeneinander gekämpft hatten. Der Schrauber steuerte auf einen der wenigen Plätze zu, die frei von Schrott waren, und setzte in einer eleganten Kurve zur Landung an. Die Steuerdüsen zischten und sanft setzte die Maschine auf. Die Rotoren liefen aus und die Dampfmaschine im Rücken der drei Männer verfiel in ein langsames Schnaufen.
»Voilà, meine Herren, wir sind da«, rief Simon Dampfbusch und schwang sich behände aus dem Pilotensitz. »Dies hier ist der Friedhof der Mechanischen. Irgendwann landen sie alle einmal hier und werden von den Eisenfressern zerlegt. Das sind die Maschinen mit den Scheinwerfern. Die Einzelteile werden dabei fein säuberlich sortiert. Doch zuerst müssen alle unter den Dampfhammer, der dort drüben steht. Dort werden sie geknackt.« Er deutete zur Kavernenwand auf der linken Seite: Ein schlanker Turm mit einem Ausleger, wie bei einem Kran, und einer Blechhütte auf der Spitze. »Ich hoffe, wir kommen noch rechtzeitig. Eigentlich sollte der Dampfhammer in Betrieb sein und wir sollten ihn runter sausen hören. Aber vermutlich ist er zurzeit defekt und wird gerade repariert.«
»Vielleicht gibt es im Moment einfach nichts für ihn zu tun«, sagte Martin, »so viele Mechanische werden ja nicht kaputt gehen.«
»Da irren Sie sich, mein Herr. In Stahldorf gibt es Heerscharen von Mechanischen und sie sind alles andere als zuverlässig.«
»Wo leben die denn? Alle im Untergrund der Stadt, wie in der Generatorhalle, aus der wir mit knapper Not entkommen sind?«
»So ist es. Dort unten …« Simon Dampfbusch konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Sie hörten ein Knacken, das von allen Seiten zu kommen schien. Aus dem Schrottgewirr, rund um sie herum, tauchten plötzlich Mechanische auf. Sie hatten ihre Waffenläufe ausgefahren. Zuerst waren es nur ein halbes Dutzend, doch dann wurden es immer mehr.
Wir sind in eine Falle geraten, schoss es Martin durch den Kopf.
»Legt eure Waffen auf den Boden«, dröhnte einer der Mechanischen. Er war mit einem Chromring unterhalb des Kuppelkopfs verziert und offenbar der Chef.
»Das haben Sie fein arrangiert«, brummte Thomas, »Sie haben uns direkt in einen Hinterhalt pilotiert. Die Brüder haben uns erwartet.«
»Ich versichere Ihnen, mein Herr, das war ganz
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