Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
spärlich beleuchteter Felsstollen schräg nach unten. Er war so eng, dass sie nur hintereinander gehen konnten. Das Gestein war roh behauen, nur der Boden war geglättet worden. Nach etwa hundert Metern kamen sie zu einer Verzweigung und Simon nahm den linken Weg. Er war eng gekrümmt und abschüssig. Martin hatte den Eindruck, er führe spiralförmig nach unten. Gerade als er danach fragen wollte, war der Stollen zu Ende. Sie standen vor einer eisernen Tür, die Simon Dampfbusch mit einem Handrad öffnete. Auf der anderen Seite erwartete sie eine Überraschung.
In einer Felskaverne stand eine Reihe der wunderlichsten Fluggeräte, die Martin je gesehen hatte. Bauchige kleine Schiffe, Fischerbooten ähnlich, mit zwei dicken gedrungenen Kaminen auf einer Dampfmaschine im hinteren Teil und vier Sitzen im Vorderteil. Hoch darüber thronte ein mächtiger Doppelpropeller, der durch eine kräftige und lange Welle mit der Maschine verbunden war. Zwei Rotoren waren übereinander angeordnet und Martin begriff sofort, dass sie gegensinnig rotierten und so den Bootskörper in einer stabilen Fluglage hielten. Doch die Rotoren sahen nicht so aus wie die der Hubschrauber, die Martin kannte. Sie hatten viel mehr Blätter, so wie das Engelkarussell, das er als Junge von seinem Vater zu Weihnachten erhalten hatte. Natürlich war dieses damals nicht mit Dampfkraft betrieben worden, sondern mit der Wärme von Kerzen, die unter dem mehrblättrigen Propeller brannten.
BEGEGNUNG AUF DEM SCHROTTPLATZ
»Dampfschrauber«, entfuhr es Thomas und es klang beinahe andächtig, wie er das Wort aussprach. »Jetzt verstehe ich, wie wir den Schokoladenverkäufer heraufholen sollen. Aber ich bin noch nie eine solche Maschine geflogen.«
»Das brauchen Sie auch nicht, mein Herr. Ich werde den Dampfschrauber persönlich pilotieren«, erwiderte Simon.
»Sie kommen mit?« Thomas war erstaunt.
»Selbstverständlich, mein Herr. Kommen Sie, die Maschine dort drüben steht bereits unter Dampf. Die Homunkuli halten sie immer in Bereitschaft.«
Als sie sich in die Sessel im Vorderteil des Dampfschraubers setzten, klappte ein Schutzdach über ihnen auf. Vor Simons Pilotensessel hatte es verschiedene Hebel und ein Manometer. Martin glaubte auch ein Variometer erkannt zu haben sowie einen künstlichen Horizont und einen Kompass. Simon bediente einen Hebel, der wie die Handbremse eines Automobils aussah, und hinter ihnen begann die Dampfmaschine zu zischen.
»Mit welchem Brennstoff läuft die Maschine?«, fragte Martin, den Lärm übertönend.
»Mit Schrempmist«, gab Simon Dampfbusch zurück. Martin war verdutzt und rätselte, ob sich der Mann nicht einen Spaß erlaubt hatte. Aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Die Rotoren über ihnen begannen sich zu drehen und das Zischen der Maschine steigerte sich zu einem brüllenden Geräusch. Dampf, gemischt mit schwarzem Rauch, schoss aus den kurzen Kaminen im Fonds des seltsamen Fluggerätes. Simon Dampfbusch schob sich die Goggles über die Augen und Thomas und Martin taten es ihm gleich. Kurze Zeit später wurde direkt vor ihnen in der Felswand ein Spalt sichtbar. Er verbreiterte sich rasch und Martin bemerkte, wie sich der Felsen zusammenzog wie ein Vorhang. Er gab den Blick auf die grün beleuchteten Wolkenkratzer von Stahldorf frei.
»Festhalten!«, rief Simon und im gleichen Augenblick hob die Maschine mit einem Ruck und unter heftigem Zischen ab.
»Der Schrauber wird offenbar allein mit Dampfstrahlen aus Düsen gesteuert, die seitlich und hinten angebracht sind«, erklärte Thomas an Martins Seite. »Eine Propellerblattverstelllung wäre mit der hiesigen Mechanik zwar durchaus machbar, aber bei der Vielzahl der Blätter vermutlich zu aufwendig.« Er musste schreien, um sich verständlich zu machen.
»Wo suchen wir nach dem Schokoladenverkäufer?«, schrie Martin zurück. »Ist er noch festgeschnallt auf dem Dampfkoffer unten auf der Straße?«
»Sie haben ihn sicher weggeräumt und zum Rezyklieren gebracht.«
»Wo werden die defekten Mechanischen rezykliert?
»Auf dem Roboterfriedhof natürlich.«
Den beiden wurde es zu anstrengend, im Lärm der Dampfmaschine und der Rotoren zu kommunizieren und sie stellten ihre Unterhaltung ein. Inzwischen hatte der Dampfschrauber seinen Hangar verlassen. Der Fels hatte sich hinter ihnen rasch wieder geschlossen, wie Martin mit einem Blick zurück feststellte. Sie waren aus der Seitenwand des Felsendomes am Rande der Stadt gekommen, etwa
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