Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
»Wir sind unschuldig.«
»Nein, Sie sind schuldig, sonst wären Sie nicht ohne Flix Krok zurückgekehrt. Über Ihre Strafe wird das Hohe Gericht urteilen.«
»Sie können uns doch nicht schon verurteilen, bevor Sie wissen, was überhaupt geschehen ist«, meldete sich Martin zu Wort.
»Ihre Schuld ist die Abwesenheit von Flix Krok. Wieso, interessiert niemanden. Sie werden verurteilt.« Zu den Homunkuli gewandt kommandierte er: »Transportiert sie in das Hohe Gericht.«
DER PROZESS
Das, was der ältere Herr als das Hohe Gericht bezeichnet hatte, war hell erleuchtet. Aus allen Richtungen waren Scheinwerfer auf Martin und Thomas gerichtet, die man in der Mitte des Raumes auf Stühle gebunden hatte. Von ihnen geblendet, konnten sie nicht erkennen, wie groß der Raum war und ob noch weitere Menschen oder Homunkuli anwesend waren. Die Schlangenfesseln hatte man ihnen erst hier abgenommen, nachdem man sie auf Rollwagen in diesen Raum gekarrt hatte. Der Mikromechanische war nirgends zu sehen und als Martin nach ihm rief, bekam er keine Antwort. Wohin man sie gebracht hatte, wussten die beiden nicht. Aber die Homunkuli hatten bei ihrem Transport erstaunlicherweise keinen Paternoster benutzt. Trotzdem hatte es ziemlich lange gedauert, bis sie in diesem Raum angekommen waren.
»Was geschieht jetzt mit uns?«, fragte Martin. »Wir haben doch nichts verbrochen. Dass Flix Krok von den rebellischen Mechanischen gefangen genommen wurde, ist doch nicht unsere Schuld. Wir wurden in eine Falle gelockt.«
»So einfach ist das nicht«, erwiderte Thomas. »Den Schokoladenverkäufer haben wir ins Spiel gebracht.«
»Aber das ergibt doch keinen Sinn. Wenn wir Flix Krok ans Messer geliefert hätten, wären wir doch nicht ausgerechnet hierher zurückgekehrt.«
»Wir sind nicht freiwillig hierher zurückgekehrt. Der Mikromechanische hat uns pilotiert. Wären wir auch hierhergekommen, wenn wir die Maschine selbst geflogen hätten?«
»Vermutlich schon … aber vielleicht auch nicht. Vielleicht hätten wir versucht nachzuforschen, wo sie Flix Krok hingebracht haben. Du hast doch selbst gesagt, dass wir nichts mehr für Flix Krok tun könnten und wir in diesem Fall nach Stahldorf zurückkehren sollten.«
»Das habe ich nicht. Ich hatte gesagt, dass wir vom Schrottplatz verschwinden sollten, weil wir dort nichts mehr für Flix Krok tun könnten.«
Martin dachte an die turbulenten Ereignisse in der Kaverne hinter dem Bahnhof und er musste Thomas Recht geben. Trotzdem fand er es ungeheuerlich, sie deswegen nicht nur des Hochverrats anzuklagen, sondern sie von vorneherein zu verurteilen, ohne dass sie sich verteidigen konnten.
»Wir sind schuldig, weil wir zurückgekehrt sind, das sind die Spielregeln hier«, sagte Thomas. »Wir hätten nicht aufgeben dürfen.«
»Das ist doch verrückt. Das können die doch nicht machen.«
»Auch in der Welt, aus der du kommst, ist unterlassene Hilfeleistung vermutlich ein Tatbestand.«
»Kommst du denn nicht aus der gleichen Welt wie ich? Du bist doch auch ein Außenweltler.«
»Ob wir beide aus der gleichen Außenwelt stammen, weiß ich nicht. Aber vielleicht werden wir es eines Tages herausfinden. Sofern wir lebend von hier wegkommen.«
Martin wurde blass.
»Du glaubst doch nicht, dass sie uns wegen dieser Unterlassung zum Tode verurteilen werden?«
»Verurteilt sind wir schon. Ob wir die Todesstrafe erhalten, hängt vom Richter ab.«
»Vom Richter? Liegt das denn in seinem Ermessen?«
»Ja, Gesetze sind flexibel, das solltest du wissen.« Thomas lachte.
Martin schüttelte den Kopf. Es war die einzige Bewegung, die seine Fesseln zuließen. Er konnte nicht verstehen, wieso Thomas unter diesen Umständen lachen konnte. Die Situation war todernst, fand er. Martin musste die Augen schließen, das grelle Licht ließ sie tränen. Eine Weile blieb es still zwischen den beiden und Martin fragte sich, wie lange sie wohl auf ihren Sitzen gefesselt bleiben würden.
»Warst du schon einmal in einer solchen Situation?«, fragte er Thomas nach einer Weile.
»Nein, wo denkst du hin?«
»Aber du bist ja bereits viel länger hier als ich, da musst du schon einiges erlebt haben? Gibt es viele von uns Außenweltlern auf diesem komischen Planeten?«
»Ich bin zwar vielen begegnet, doch nur wenige haben überlebt. Die meisten schaffen es nur ein paar Wochen oder Monate.«
»Woran liegt das, ist diese Welt denn so gefährlich?«
Thomas seufzte.
»Das erlebst du gerade selbst. Hier gelten
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