Die Reise Nach Petuschki
Keiner! Ihr kennt ihn nicht einmal heute richtig. Aber er — er kennt ihn und erwartet dafür keine Belohnung außer einem Glas Nüsse.
Betet für mich, Engel. Hell wird mein Weg sein, und mein Fuß wird an keinen Stein stoßen, und ich werde die Stadt sehen, nach der ich mich so lange verzehrte. Doch einstweilen entschuldigt mich und paßt bitte einen Augenblick auf kein Köfferchen auf, ich entferne mich für zehn Minuten. Ich muß einen Schluck Kubanskaja trinken, um in Stimmung zu bleiben.
Ich stand auf, na bitte, ich stand auf und ging durch das halbe Abteil hinaus auf die Plattform. Ich setzte an und trank, und zwar nicht mehr so, wie auf der Höhe von Karatscharowo: ohne Brechreiz und ohne belegtes Brot. Ich trank jetzt aus der Flasche, den Kopf nach hinten geworfen wie ein Pianist, im Bewußtsein dessen, was erst begann und noch bevorstand.
Nikolskoje — Saltykowskaja
Diese dreizehn Schlucke werden dir nicht zur Freude gereichen, dachte ich, während ich den dreizehnten Schluck nahm. Du weißt doch selbst, daß die zweite morgendliche Dosis, wenn man sie aus der Flasche trinkt, schwer auf der Seele liegt, wenn auch nicht für lange, nur bis zur dritten, aus dem Glas getrunkenen Dosis, aber immerhin. Wer könnte das besser wissen als du selbst! Aber was soll's. Dein Morgen wird hell sein, heller als dein Heute. Doch warum sind die Engel so bestürzt, wenn du anfängst, von den Freuden auf dem Bahnsteig in Petuschki und denen danach zu erzählen?
Was denken sie nur? Daß mich dort niemand erwartet? Oder daß der Zug entgleist? Oder daß mich in Kupawna die Kontrolleure rausschmeißen? Oder daß ich irgendwo bei Kilometer 105 vom Wein einschlummere und erdrückt werde wie ein kleiner Junge oder erstochen wie ein kleines Mädchen? Warum nur sind die Engel so bestürzt und schweigen? Mein Morgen wird hell sein. Ja. Unser Morgen wird heller sein als unser Gestern und unser Heute. Aber wer garantiert, daß unser Übermorgen nicht schlechter sein wird als unser Vorgestern?
Das hast du sehr schön gesagt, Wenitschka. Sehr schön. Unser Morgen und so weiter. Sehr logisch und gescheit. Du redest selten so logisch und gescheit.
Besonders viel Grips hast du ja noch nie gehabt. Wer könnte das besser wissen als du selbst! Finde dich damit ab, Wenitschka; zwar geht in deinen Kopf nicht viel rein, aber dafür in deine Seele... Und überhaupt, wozu brauchst du einen Kopf, wenn du ein Gewissen hast und darüber hinaus Geschmack? Gewissen und Geschmack - das ist so viel, daß der Kopf geradezu überflüssig wird. Wann hast du eigentlich zum erstenmal bemerkt, Wenitschka, daß du ein Idiot bist?
Das war damals, als ich gleichzeitig zwei völlig gegensätzliche Vorwürfe zu hören bekam; daß ich nämlich leichtsinnig und gleichzeitig langweilig sei. Wenn der Mensch gescheit und langweilig ist, wird er sich nicht zum Leichtsinn herablassen. Wenn er leichtsinnig ist und gescheit — wird er es sich nicht erlauben, langweilig zu sein. Nur ich Trantüte habe es irgendwie geschafft, beides miteinander zu verbinden.
Und soll ich euch sagen, warum? Weil ich seelisch krank bin, das sieht man mir nur nicht an. Weil ich, seit ich mich erinnern kann, nichts anderes tue, als seelische Gesundheit zu simulieren, jeden Augenblick; und darauf verschwende ich meine ganzen Kräfte (restlos alle), die geistigen, die physischen und alle sonstigen. Daher kommt es, daß ich langweilig bin. Alles, worüber ihr redet, alles, was euch tagtäglich beschäftigt, ist mir unendlich fremd. Ja, und darüber, was mich beschäftigt, darüber werde ich nie und niemandem ein einziges Wort sagen. Vielleicht aus Angst, für verrückt erklärt zu werden, vielleicht aus sonst einem Grund, jedenfalls — kein Wort.
Ich weiß noch, schon früher, wenn die Leute in meiner Anwesenheit eine Unterhaltung oder Diskussion über irgendwelchen Unsinn anfingen, sagte ich: »Wie kann man sich nur mit so etwas Belanglosem auseinandersetzen!« Darauf antworteten sie mir erstaunt: »Wieso denn belanglos? Wenn das belanglos ist, was ist denn dann nicht belanglos?« Und ich sagte: »Oh, ich weiß nicht, ich weiß nicht. Aber es gibt da sowas Ich behaupte nicht, daß ich die Wahrheit erkannt hätte oder dicht an sie herangekommen wäre. Mitnichten! Aber ich habe mich ihr gerade so weit genähert, daß ich sie bequem betrachten kann.
Ich betrachte, erkenne und bin schmerzerfüllt. Ich glaube nicht daran, daß unter euch noch einer ist, der in seinem Bauch ein so explosives
Weitere Kostenlose Bücher