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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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gelächelt hast... Du hast heute noch kein einziges Mal gelächelt; sobald du zum erstenmal gelächelt hast, werden wir wegfliegen ... erlöst von jeder Sorge um dich ...«
    »Und dort auf dem Bahnsteig werdet ihr mich erwarten, ja?«
    »Ja, dort werden wir dich erwarten ...«
    Wunderbare Geschöpfe, diese Engel. Nur, warum »armer Junge«? Er ist überhaupt nicht arm! Ein Baby, das den Buchstaben Q kennt wie die fünf Finger seiner Hand, ein Baby, das seinen Vater liebt wie sich selbst — hat so ein Baby Mitleid nötig? Sicher, vorletzten Freitag war er krank, und alle dort waren in großer Sorge um ihn... Aber es ging ihm doch sofort besser, kaum daß er mich gesehen hatte ...! Gnädiger Gott, mach, daß ihm nichts zustößt, mach, daß ihm niemals etwas zustößt...!
    Mach, lieber Gott, daß er, wenn er von der Treppe oder vom Ofen purzelt, mach, daß er sich kein Bein und keinen Arm bricht. Wenn er ein Messer oder eine Rasierklinge findet, Herr, laß ihn nicht damit spielen, gib ihm ein andres Spielzeug. Wenn seine Mutter den Ofen anheizt (es gefällt ihm sehr, wenn seine Mutter den Ofen anheizt), zieh ihn zur Seite, wenn es geht. Es tut mir weh, daran zu denken, daß er sich verbrennen könnte ... Und wenn er krank wird — laß ihn gesund werden, sobald er mich sieht...
    Ja, als ich letztes Mal hinkam, sagte man mir, daß er schläft. Man sagte mir: er ist krank und liegt im Fieber. Man ließ mich mit ihm allein, und ich setzte mich an sein Bett und trank Zitronenschnaps. Er lag tatsächlich im Fieber, und sogar das Grübchen auf seiner Wange war voller Fieber. Unglaublich, daß so ein Winzling Fieber haben kann ...
    Ich hatte schon drei Gläser Zitronenschnaps getrunken, als er aufwachte. Er sah mich an und das vierte Glas in meiner Hand... Ich habe mich damals lange mit ihm unterhalten. Ich sagte:
    »Weißt du was, mein Junge? Es ist besser, wenn du nicht stirbst... Überleg doch mal (du malst ja schon Buchstaben, also kannst du auch überlegen): es ist sehr dumm zu sterben, wenn man nur den Buchstaben Q kennt und sonst nichts ... Du wirst selbst begreifen, daß das dumm ist...«
    »Ja, Vater, ich begreife ...«
    Und wie er das sagte! Alles, was sie sagen, die ewig lebenden Engel und die sterbenden Kinder, das alles ist so bedeutsam, daß ich ihre Worte in langgezogener Kursivschrift niederschreibe, und alles, was wir sagen, mit winzigen Buchstaben, weil das alles mehr oder weniger Quatsch ist. »Ja, Vater, ich begreife/«
    »Du wirst wieder aufstehen, mein Junge, und wieder zu meiner ›Ferkelchen-Farandella‹ tanzen. Weißt du noch, wie du getanzt hast, als du zwei Jahre alt warst? Die Musik stammte von deinem Vater und die Worte auch: ›Es tanzen kleine Ferkelchen in unserm Haus herum, sie kratzen dich, sie beißen dich, sie pieksen in das Bäuchlein dich ...‹ Du hattest eine Hand abgestützt, in der anderen schwenktest du ein Taschentüchlein und hüpftest herum wie ein Depp im Kleinformat... ›Ich heulte schon seit Februar voll Zittern und voll Bangen, und eines schönen Sommertags bin ich dann hops gegangen ...‹ Liebst du deinen Vater, mein Junge?«
    »Sehr...«
    »Na siehst du, es ist wirklich besser, wenn du nicht stirbst... Wenn du nicht stirbst und erst wieder gesund bist, tanzt du wieder für mich... Ja? Aber keine Farandella. Da sind Passagen drin, die nicht passen ... ›und eines schönen Sommertags bin ich dann hops gegangen ...‹ Das geht nicht. Viel besser ist schon das: ›Heißa Kathreinele, schnür dir die Schuh.‹ Ich mag diesen Stuß, ich habe Gründe dafür...« Ich trank das vierte Glas aus und wurde unruhig:
    »Wenn du nicht da bist, mein Junge, bin ich ganz einsam ... Verstehst du? ... Bist du im Wald herumgetollt diesen Sommer, ja? ... Dann kannst du dich sicher erinnern, wie die Kiefern dort aussehen... Siehst du, ich bin wie eine Kiefer... Sie ist so lang und so einsam, so einsam, wie ich ... Sie schaut wie ich in den Himmel und das, was ihr zu Füßen liegt, das sieht sie nicht und will es nicht sehen ... Sie ist so grün und wird es ewig bleiben, bis sie zusammenkracht. So auch ich — solange ich nicht zusammenkrache, werde ich grün bleiben »Grün«, echote das Baby.
    »Zum Beispiel der Löwenzahn. Er schaukelt vor sich hin und löst sich auf im Wind ... Traurig, ihn anzusehen. Es ist wie bei mir, löse ich mich etwa nicht auf? Ist es nicht widerlich, tagelang zuzusehen, wie ich mich auflöse und auflöse und auflöse ...?«
    »Widerlich«, plapperte das Baby mir

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