Die Reise Nach Petuschki
Gemisch mit sich herumschleppt wie ich. Woraus dieses Gemisch besteht, ist schwer zu sagen, doch ihr würdet es ohnehin nicht verstehen. Aber vor allem sind da »Schmerz« und »Angst«. Nennen wir es wenigstens so. Ja, vor allem »Schmerz« und »Angst«, und dann noch Stummheit. Jeden Tag, vom Morgen an, läßt »mein goldenes Herz« diesen ätzenden Aufguß in sich hineinsickern und badet sich darin bis zum Abend. Bei anderen Leuten passiert so was bekanntlich dann, wenn ganz plötzlich jemand stirbt, wenn der liebste Mensch auf der Welt stirbt. Aber bei mir ist das ewig so! Begreift wenigstens das!
Wie sollte ich da nicht langweilig sein, und wie sollte ich da nicht Wodka trinken? Ich habe mir dieses Recht verdient. Ich weiß besser als ihr, daß der »Weltschmerz« nicht etwa eine Fiktion ist, die von den alten Literaten in Umlauf gebracht wurde. Ich weiß es, weil ich den Weltschmerz selbst im Herzen trage. Ich weiß, was das ist, und ich denke nicht daran, es zu verbergen. Man muß es lernen, den Leuten ohne Hemmungen ins Gesicht zu sagen, welche Vorzüge man hat. Schließlich weiß jeder selbst am besten über seine eigenen Vorzüge Bescheid. Kennt ihr zum Beispiel das Gemälde »Untröstlicher Kummer« von Kramskoj? Natürlich kennt ihr es. Angenommen, dieser schwarz versteinerten Fürstin oder Bojarin hätte die Katze in diesem Augenblick irgendwas hinuntergeworfen - na, zum Beispiel eine Phiole aus Sèvresporzellan, oder sie hätte ihr ein Neglige von unschätzbarem Wert zerfetzt. Würde sie deshalb vielleicht anfangen zu toben und die Hände ringen? Niemals! Weil das alles nämlich belanglos für sie ist, weil sie, wenn auch nur für einen oder , drei Tage, über Negliges, Katzen und Sevresporzellan erhaben ist!
Nun, was meint ihr? Ist diese Fürstin langweilig? Sie ist unaussprechlich langweilig, was denn sonst. Und ist sie leichtsinnig? Sie ist im höchsten Grade leichtsinnig!
Da seht ihr es, so bin auch ich. Habt ihr jetzt begriffen, warum ich der traurigste unter allen Saufbrüdern bin? Warum ich leichtfertiger bin als jeder Idiot und schwermütiger als jeder dahergelaufene Scheißer? Warum nur bin ich Idiot, Dämon und Schwätzer in einem?
Na, ist ja wunderbar, daß ihr alles verstanden habt. Trinken wir auf das Verstehen — den ganzen Rest Kubanskaja, aus der Flasche, trinken wir unverzüglich.
Seht her, wie man das macht...!
Saltykowskaja — Kutschino
Der Rest Kubanskaja brodelte noch irgendwo ziemlich weit oben in der Gurgel, und deshalb konnte ich, als man mir vom Himmel sagte:
»Warum hast du alles ausgetrunken, Wenja? Das war zuviel...« vor Atemnot nur mit größter Mühe antworten:
»Auf der ganzen Welt... auf der ganzen Welt, von Moskau bis nach Petuschki, gibt es nichts, was mir zuviel werden könnte ... Ihr braucht doch keine Angst um mich zu haben, himmlische Engel...«
»Wir haben Angst, daß du wieder ...«
»Daß ich wieder anfange zu fluchen? Aber nein, ich wußte nur einfach nicht, daß ihr dauernd mit mir seid, sonst hätte ich schon vorher nicht... Ich fühle mich jetzt mit jedem Augenblick glücklicher ... und selbst wenn ich jetzt anfangen würde zu fluchen, dann irgendwie fröhlich ... wie in den Gedichten der deutschen Romantiker: ›Ihr könnt mir im Mondschein begegnen‹ oder ›Geht doch zum Kuckuck ...‹, mehr nicht. Ihr Dummerchen!«
»Wir sind keine Dummerchen, wir haben nur einfach Angst, daß du wieder nicht hinkommst. ..«
»Wohin? ... Nach Petuschki, meint ihr? Zu ihr? Zu meiner schamlosen Königin mit Augen wie Wolken? ... Ihr seid vielleicht witzig ...«
»Nein, wir sind nicht witzig, wir haben Angst, daß du zu ihm nicht hinkommst und daß er ohne Nüsse bleibt. ..«
»Aber nicht doch, nicht doch! Solange ich lebe... nicht doch! Letzten Freitag, richtig, letzten Freitag hat sie mich nicht fortgelassen zu ihm... Ich war vollkommen abgeschlafft, Engel, letzten Freitag, ich konnte mich an ihrem weißen Bauch nicht sattsehen, der so rund ist wie Himmel und Erde... Aber heute komme ich hin, wenn ich nur unter den Schlägen des Schicksals nicht vorher krepiere ... Genauer, nicht heute, heute werde ich bei ihr sein, ich werde zwischen Lilien weiden, und dann morgen
»Der arme Junge . ..«, seufzten die Engel.
»Der arme Junge ... Wie kommt ihr darauf, daß er arm ist? Aber sagt mir, Engel, werdet ihr mit mir sein bis Petuschki? Ja? Werdet ihr nicht wegfliegen?«
»Ganz bis nach. Petuschki können wir nicht, o nein ... Wir werden wegfliegen, sobald du
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