Die Reise nach Uruk
nicht nur Kaufmann, sondern auch der einfluß -reichste Reeder in Rom, und als Elisabeth das erste Mal bei ihm vorgesprochen hatte, war seine Ablehnung ebenso brüsk wie kategorisch ausgefallen. Warum er es sich noch einmal anders überlegt und von sich aus wieder auf sie zugekommen war, nachdem ihr Bemühen, andere Unterstützung zu finden, nicht gefruchtet hatte, wußte Elisabeth auch jetzt noch nicht.
»Die AMETHYST ist die nächste Kogge, die ausläuft«, hatte er Elisabeth jedenfalls beim zweiten Zusammentreffen eröffnet und dabei das strenge Gesicht in Falten gelegt. »Normalerweise untersage ich es meinen Kapitänen, allein reisende Frauen zu befördern. Sie gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch den Frieden an Bord, wenn Ihr versteht, was ich meine ...« Er hatte gehüstelt und mit beschwichtigender Geste betont: »Oh, ich unterstelle keinerlei Absicht, sondern würde es einfach als Naturgesetz bezeichnen. Die bloße Anwesenheit eines Weiberrocks genügt, um Unruhe zu schüren. Eine Frau muß nicht einmal besonders hübsch sein, die Überfahrt braucht nur lange genug dauern .« Nach diesen Worten hatte er seid noch geräuschvoller geräuspert und schnell versichert: »Bei Euch kommt erschwerend hinzu, daß Ihr hübsch sind - und ich fürchte, das ist sogar untertrieben .«
Elisabeth war wieder einmal drastisch vor Augen geführt geworden, was für ein Anachronismus sie in dieser Zeit immer noch war und bleiben würde.
Ich gehöre nicht hierher, dachte sie und unterdrückte die berechtigten Zweifel, ob sie denn tatsächlich daran glaubte, noch in jene Zeit zu gehören, in die es sie mit solcher Vehemenz zurückzog. Sie schloß die Augen. Der Trubel entrückte, auch wenn die Lärmkulisse dieselbe blieb. Es war später Nachmittag, das Zimmer schäbig und mit Ungeziefer verseucht. Obwohl sie müde war und vorhatte, mor -gen früh ausgeruht an Bord der Kogge zu gehen, wagte Elisabeth es nicht, sich auf das Bett zu legen.
Ich gehöre wirklich nicht hierher - und ich ertrage es auch nicht mehr, hier zu sein! Es sind tausend Kleinigkeiten, aber ihre Summe schnürt mir die Kehle zu ... O Tobias!
Die Vertrautheit mit ihm und das Vertrauen in ihn hatten ihr Halt verliehen, und dieser Halt war nicht mehr da .
Mit immer noch gesenkten Lidern lenkte sie ihre Gedanken zu Sal-vat und dem Kind, das er ihr gezeigt hatte. Sie hatte keine Sekunde bereut, die Aufgabe, die er ihr schmackhaft zu machen versuchte, auszuschlagen. Inzwischen hegte sie sogar den Verdacht, daß er mehr von ihr erwartet hatte, als die Amme zu spielen. Wahrscheinlich war vieles von dem, was sie noch hatte tun sollen, unausgesprochen geblieben, weil ihr Nein allzu endgültig geklungen hatte. Elisabeth argwöhnte aber, daß Salvat sich über kurz oder lang von ihr aktive Unterstützung darin erbeten hätte, ihre besonderen Kräfte dafür einzusetzen, um Raphaels Gesundung und Wachstum zu beschleunigen.
Wenn dem so war, mußte ihn ihre Ablehnung beträchtlich härter getroffen haben als zunächst vermutet.
Kopfschüttelnd öffnete sie die Augen. Ein Engel, dachte sie, der meine Hilfe braucht...?
Die Idee war schon in sich absurd, obwohl Salvat gegenüber Tobias einmal eine Andeutung gemacht hatte, die erklärte, warum auch ihm Grenzen auferlegt waren und er damals in London und zuvor in Heidelberg solche Mühe gehabt haben, gegen die Ausgeburt des Satans zu bestehen.
»Dort, von wo ich komme, reicht ein Gedanke, um Wünschen Gestalt zu geben, um Realitäten zu formen«, hatte Tobias ihn zitiert. »Hier aber, unter Menschen, bin ich verglichen damit fast blind, fast taub und fast gelähmt .«
Das war mit Sicherheit übertrieben gewesen. Dennoch, die Kernaussage mochte wahr sein. Und Elisabeth hielt es sogar für möglich, daß Salvat Tobias ausgewählt hatte, um sein Herz auszuschütten, weil dieser vielleicht am besten hatte nachvollziehen können, was er mit seinem Gerede vom Wünschen überhaupt meinte.
Wie alle Illuminaten, die Salvat nach der verlorenen Schlacht zu Heidelberg um sich geschart hatte und weiter scharte, verfügte Tobias über ein ganz spezielles Talent, das ihn weit aus der Masse seiner Mitmenschen herausragen ließ. Auch bei ihm war es mitunter so gewesen, daß bloßes Wollen oder Wünschen Unglaubliches bewirkt hatte. Leider jedoch nicht willkürlich, sondern meist in ausweglos scheinenden Situationen .
Elisabeth stutzte und bremste den Flug ihrer Gedanken. Unwillkürlich trat sie vom Fenster zurück. Nervös fuhr
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