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Die Reisen des Mungo Carteret

Die Reisen des Mungo Carteret

Titel: Die Reisen des Mungo Carteret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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planetare Metropole gewesen – aber man hatte keine Untersuchung der Tektonik von Garm vorgenommen. Nach dem zweiten verheerenden Erdbeben verlegte man die Hauptstadt nach Kynossa; allerdings wurde Anubis nie völlig aufgegeben. Die Stadt mochte an die 30000 Einwohnerzählen, war für Garms Verhältnisse also eine Großstadt und wirtschaftliches Zentrum der Region am mittleren Cerberio. Die Ruinen von Anubel, wo sich ein paar Unangepaßte niedergelassen hatten, wa ren die bizarren Reste eines ehemaligen Villenvororts; die übrige Stadt wirkte aus der Luft fast einschläfernd gewöhnlich, und Carteret hatte Mühe, das »höchste Gebäude« zu finden, von dem sich eines der fünf Opfer in den Tod gestürzt hatte. ›Notfalls‹, sagte er sich, ›genügen fünf Stockwerke.‹
    Der Leiter der aboyeurs von Anubis, Rodrigo, war informiert, auch über den inoffiziellen »Ermittlungshelfer« Carteret, und erwartete sie am Rand des kleinen Landeplatzes für Gleiter, wo auch das Büro samt Arrestzellen (»Zwinger«) lag: eine Holzbaracke. Nachdem er Tee angeboten und eingeschenkt hatte, sagte Rodrigo:
    »Wir haben etwas Neues.« Dann rümpfte er die Nase. »Ich weiß nur nicht, ob es hilft.«
    »Und zwar?«
    Rodrigo streifte Carteret mit einem ausdruckslosen Seitenblick, ehe er Medinas Frage beantwortete. »Wir haben uns wie üblich noch mal mit den Leuten beschäftigt, Kontakte, letzte Gespräche, Erben, all das.«
    Medina nickte. »Noch mal heißt, daß ihr es vorher schon versucht hattet, aber diesmal ist mehr herausgekommen?«
    »Genau. Aber …« Rodrigo schnaubte, blies über seinen heißen Tee, nahm einen Schluck und knurrte dann: »Was dabei herausgekommen ist, sind nur noch mehr Fragen.«
    Alle fünf, sagte er, hätten in den letzten Tagen ihres Lebens über entsetzliche Depressionen geklagt, verbun den mit – oder ausgelöst von? – Albträumen und der Erwar tung eines unausweichlichen, grauenhaften Verhängnisses.
    »Verhängnis?« sagte Medina. »Altmodisches Wort, altmodische Annahme, oder?«
    »Verhängnis setzt jemanden oder etwas voraus, der oder das etwas verhängt«, sagte Carteret. »Ein göttliches oder teuflisches Wesen, zum Beispiel. Oder eine entsprechende Halluzination. Vision. Haben die fünf vielleicht irgendeiner neuen Untergangssekte angehört?«
    Der aboyeur setzte ein schräges Grinsen auf. »Nette Idee; können wir aber nicht liefern, so was. Nicht, daß ich das bedauerte.«
    »Und die anderen Punkte?« Cross hatte die Brauen gehoben; sie spielte mit ihrem Teelöffel. »Kontakte? Fünf gleichartige Depressionen … Haben die fünf vielleicht die gleiche Sorte moderne Lyrik gelesen?«
    »Es gibt beziehungsweise gab, so weit wir feststellen konnten, keine Beziehungen zwischen den fünf Kandidaten.«
    Mungo hatte den Eindruck, daß Rodrigo zögerte oder noch etwas sagen wollte, aber nicht wußte wie.
    »Haben Sie denn über das hinaus, was Sie feststellen konnten, einen Verdacht oder Mutmaßungen?«
    Der oberste aboyeur von Anubis ließ die Lider sacken, bis er fast entschlafen wirkte.
    »Tja«, sagte er.
    Medina Cross blickte zwischen Rodrigo und Carteret hin und her; sie schien zu rätseln.
    Plötzlich begriff Mungo – oder glaubte zu begreifen. Anubis mochte nach planetaren Maßstäben eine Großstadt sein, war aber selbst für Garm »entlegen«. Alle wichtigen Dinge geschahen woanders, zum Beispiel in Kynossa, wo es nicht nur die Kammern der Abgeordneten und den Rat der Grundherren gab, sondern auch einen Raumhafen. Verbindung zum unglaublichen Universum, zur Galaxis, zum Commonwealth der Menschheit. Und dem aboyeur , einem vermutlich redlichen und fähigen, aber für seine Aufgaben nicht besonders ausgebildeten Mann aus Anubis, saßen Cross und Carteret gegenüber: die Vertreterin des übergeordneten SIC, der im ganzen Commonwealth Polizeibefugnisse hatte, und ein Mann von der Stammwelt Erde, die für die meisten Garmaten bestenfalls eine Legende war.
    »Hören Sie« – er beugte sich ein wenig vor –, »wir sind ratlos und kennen uns hier nicht aus. Vielleicht können wir Ihnen ein bißchen helfen, aber zuständig sind natür lich Sie. Und Sie haben die nötige Erfahrung, was Ihre Mitbürger und die Stadt angeht.«
    Rodrigo schwieg noch immer.
    »Kommen Sie«, sagte Medina. »Wenn Sie wüßten, was für hirnrissige Überlegungen im SIC manchmal angestellt werden …«
    Rodrigo schüttelte langsam den Kopf; mit einem ver queren Grinsen sagte er: »Sie sind sehr diplomatisch, bei de, aber

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