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Die Reisen des Mungo Carteret

Die Reisen des Mungo Carteret

Titel: Die Reisen des Mungo Carteret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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erzähle, müßten Sie vielleicht etwas über die Herkunft wissen. Und über die Drachen.«
     
    Der siebte Planet der Sonne Qalaf war klein, mit minimaler Schwerkraft und dünner, für Menschen giftiger Atmosphäre. Es gab kaum Bodenschätze, die den Aufwand des Abbaus unter Druckkuppeln oder mit Robots gelohnt hätten; aber die Prospektoren entdeckten die Drachen: dünne, halbtransparente, vielfarbig schillernde Dreiecke, die durch die Gashülle von Qalaf schwebten. Neben dem Schweben zeichnete sie ein annähernd echsenförmiger Kopf aus, der wahrscheinlich zur Namensgebung führte. Soviel man wußte, ernährten sie sich durch eine Art Photosynthese, so daß man sie als »vegetabil« bezeichnete. Sie waren eingeschlechtlich; hin und wieder – die Häufigkeit war nicht bekannt – lösten sich kleine Lappen von ihrer Unterseite und zogen sich zu je einem Ball zusammen, der nach einiger Zeit einen weiteren, ausgewachsenen Drachen freigab.
    Prospektoren und Wissenschaftler, die sie beobachten (und Qalaf weiter untersuchen) sollten, sammelten herumliegende »Restbälle« und stellten fest, daß sie unter Druck implodierten und zu Staub zerfielen, der eine halluzinogene Substanz enthielt. Es dauerte nicht lange, bis man herausfand, daß dieser sich ohne unmittelbare Gesundheitsschädigungen inhalieren ließ.
    »Garm ist die nächste bewohnte Welt; viel von dem Zeug gibt es nicht, und fast alles kommt hierher. Weil es nicht viel gibt, ist es teuer.«
    »Und warum heißt das Zeug Seelenkot?«
    »Die Drachen sind intelligent. Nicht sehr, aber immerhin. Sie nehmen Schallwellen auf und verstehen einiger maßen Galaktein. Erinnerungen an solche Kommunikati on finden sich immer wieder im Staub, aber das ist nebensächlich. Offenbar speichern die Bälle – tja, sagen wir: Empfindungen oder Gefühlserlebnisse der Drachen. Wenn man den Staub inhaliert, ist man bis zu zwei Stunden ein Drache.«
    »Wie ist das, Drache sein?« sagte Medina; sie hatte die Augen weit geöffnet.
    Der Arzt schloß die seinen. »Unbeschreiblich«, flüster te er. »Man sieht Farben, für die es keine Namen gibt … Nein, man sieht sie nicht, man ist Teil von allem. Farben, atmosphärische Phänomene wie Strömungen oder Elekt rik. Können Sie sich vorstellen, was es heißt, ein loderndes, schillerndes Gewitter zu sein? Unendliches Wohlgefühl, eine Art zeitlich begrenzte Göttlichkeit. Und … gleiten. Über die Zeit hinweggleiten, mit Einzelbewußtsein und zugleich Teil eines unermeßlich wunderbaren Chaos.« Er öffnete die Augen, in denen unermeßlich wunder Schmerz steckte. »Sex«, sagte er, »andere Rauschmöglichkeiten, Erfolg, Sieg, Reichtum, das alles ist nichts, verglichen damit. Sehen Sie sich die Bilder von Uzumi an, dann kriegen Sie eine schwache Ahnung. Vielleicht.«
    »Uzumi?« sagte Mungo.
    »Der tote Maler.« Medina musterte den Arzt. »Und Sie waren süchtig?«
    Mavrogordato lächelte schnell, und ebenso schnell erlosch das Lächeln wieder. »Nein«, sagte er. »Ich war nicht, ich bin . Davon kommt keiner jemals los. Kein physisches Problem, wissen Sie; es gibt keine körperlichen Entzugssymptome. Es ist nur so, daß man im Paradies gewesen ist, und es gibt keinen vorstellbaren Grund, nicht wieder dorthin zurückzugehen. Außer natürlich rationalen Überlegungen wie ›Ich muß arbeiten, um es mir leisten zu können‹ oder derlei.«
    »Sie inhalieren also weiter?«
    »Nein. Ich wollte nicht wahnsinnig werden. Frau und Kinder sind bedeutungsloser Müll am Wegesrand, wenn Sie Seelenkot haben. Ich habe mir einen Rest Verantwortung bewahrt. Und … seit Jahren suche ich für mich und andere nach einer synthetischen Substanz, die einen Bruchteil dieses Paradieses geben könnte – genug, um Gott zu sein, aber nicht so viel, daß man nicht eine Weile darauf verzichten kann.«
    Mungo leerte sein Weinglas und deutete damit auf den Arzt. »Die entscheidende Frage – begeht man Selbstmord, wenn man vorübergehend keinen Seelenkot kriegen kann?«
    »Ausgeschlossen. Völlig unmöglich. Selbstmord wäre ja der freiwillige Verzicht darauf, jemals wieder Seelenkot zu atmen.«
     
    Nachdem der Arzt gegangen war, saßen Medina und Mungo noch eine Weile in der Bar und berieten.
    »Wir sind nicht weiter als vorher«, sagte Carteret.
    »Stimmt nicht.« Medina zog einen Flunsch. »Vorher hatten wir immerhin die Vermutung, es könnte mit Seelenkot zu tun haben. Jetzt haben wir gar nichts.«
    Später, in seinem Zimmer, informierte Carteret den kompakt

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