Die Reisen des Paulus
Schiffbruch erleiden, aber gerettet werden.
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W F
Die freundlichen Menschen am Strand hießen sie willkommen, und sie erfuhren, daß die Insel Malta hieß.
Einige Eingeborene sprachen zweifellos demotisches Griechisch, die meisten aber einen semitischen Dialekt, der in den Jahrhunderten der phönizischen Fremdherrschaft entstanden war. Die Malteser hatten sich schon daran gemacht, Stecken und Reisig zu sammeln, und ein Feuer angezündet, noch bevor die Überlebenden, von Salz überkrustet, das Ufer erreichten. »Die Leute aber erzeigten uns nicht geringe Freundschaft …« Das tun sie auch heute noch. Gastfreund-lichkeit ist ein besonderes Merkmal der Malteser.
Paulus, unverzagt wie stets, war einer der ersten, der beim Reisigsammeln mithalf. Und jetzt ereignete sich die berühmte Geschichte mit der Schlange. Als er das Bündel aufs Feuer legte, schoß eine Schlange heraus, die drinnen wohl hatte überwintern wollen, und biß sich an seiner Hand fest. Als die Malteser die Schlange an seiner Hand hängen sahen, dachten sie, er müsse ein Mörder sein, den die Götter dem Meer hätten entkommen lassen, nicht aber der Gerechtigkeit. Paulus schlenkerte sie lediglich ins Feuer.
Jetzt warteten sie nur noch darauf, daß er starb. Als er sich aber weiterhin ganz normal betrug, hielten sie ihn für einen Gott. Und damit genoß er von Anfang an einen ganz besonderen Ruf. Der springende Punkt ist, daß die Schlange fast mit Sicherheit nicht giftig war. In der Encyclopaedia Britannica heißt es zur Fauna Maltas: »Es gibt vier Eidechsen-und drei nicht giftige Schlangenarten.« Bis zum heutigen 349
Tag geht auf der Insel die Sage, Paulus habe allen Schlangen das Gift genommen – dasselbe soll der hl. Patrick vier-hundert Jahre später in Irland vollbracht haben. Gelegentlich, wenn auch selten, stößt man entgegen dem Diktum der Encyclopaedia Britannica in Malta doch auf eine Giftschlan-ge, doch die ist dann wahrscheinlich per Schiff aus anderen Ländern, etwa aus Libyen, eingeschleppt worden. In Bey-ond Damascus erwähnt F. A. Spencer die folgende interessante Tatsache: »Bis zum heutigen Tag gibt es in Süditalien Menschen, die man Sanpaulari nennt. Kraft dessen, daß sie in der Paulus-Nacht (vom 24. auf 25. Januar) geboren sind, können sie, so will es der Volksglaube wissen, giftige Tiere mit ihrem Speichel töten.«
Bei der Betrachtung von Paulus’ Malta-Aufenthalt sto-
ßen wir auf etwas recht Ungewöhnliches. Lukas nennt diese freundlichen Leute verächtlich Barbaren. Das liegt daran, daß er Grieche war. Das Wort für nicht Griechisch Sprechende lautete seit Homers Tagen barbaroi – Menschen mit rauher, grober Mundart, die nicht zivilisert genug waren, um das Griechische zu sprechen. Paulus dagegen hatte – neben seiner Freundschaft mit Publius, dem »Obersten«, also dem wichtigsten Beamten der Insel – seinen beiden griechischen Gefährten gegenüber den Vorteil, daß er Aramäisch konnte.
Der punische Dialekt der Malteser hatte dieselben sprachlichen Wurzeln wie das Hebräische, und man darf annehmen, daß Paulus sich ohne große Mühe mit den Maltesern in der Landessprache verständigen konnte. Malteser, die Syrien und den Libanon besuchen, die Heimat ihrer Vorväter, haben dort keine übermäßigen Sprachschwierigkeiten. Vielleicht war Paulus aus dem eben genannten Grund in Malta 350
so erfolgreich – höchstwahrscheinlich hat er dort eine kleine, blühende Gemeinde gegründet. Die Tradition behauptet, Publius sei der erste Bischof* oder Älteste der Kirche von Malta gewesen.
Der Hauptgrund für Paulus’ Erfolg ist darin zu suchen, daß er den Vater des Publius, der an Fieber und Ruhr er-krankt war, heilen konnte – er »legte die Hände auf ihn und machte ihn gesund«. Wiederum kein Zweifel, daß hier Glaube und Vertrauen mitspielten. Da kam ein Mann, der nicht nur Latein und Griechisch, sondern sogar eine Ab-art des maltesischen Dialekts beherrschte. Er hatte Schiffbruch erlitten und überlebt, er war von einer Schlange ge-bissen worden und unversehrt geblieben – alle Elemente, die für blindes Vertrauen nötig sind, waren vorhanden. Julius, Paulus und seine beiden Gefährten wohnten drei Tage lang im Hause des obersten Beamten. Danach mieteten sie sich Räumlichkeiten in der Hauptstadt, die fast genau in der Mitte der Insel auf einem felsigen Bergkamm gelegen war. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Paulus in einer Höhle oder einem Kerker
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