Die Reisen des Paulus
Antwort.
Doch die beiden Männer sagten mit erstaunlicher Frech-heit, sie hätten die Absicht, Gott zu gehorchen und nicht den Menschen. Sie fuhren fort, allen, die es hören wollten, vom Leben ihres Meisters vor und nach dem Tode zu erzählen.
Und die Bewegung erhielt noch mehr Zulauf. Die Anhänger des Nazareners formierten sich, bildeten eine Art von kom-munistischer Gemeinschaft und teilten alle Güter miteinander. Das war allerdings schon seit langem bei den Essenern üblich. Man munkelt auch, zwei Mitglieder der neuen Sekte, ein Mann namens Ananias und dessen Frau Saphira, hätten versucht, Geld aus dem gemeinsamen Fundus zu entwenden.
Ihrer Sünde wegen seien sie auf der Stelle vom Schlag getroffen worden. Im Osten schwirrte es stets von Gerüchten, aber 97
niemals in solchem Ausmaß wie in jenen Tagen der Inbrunst, da eine Woge von religiösem Wahn das immer stürmisch bewegte Herz der Stadt durchbrauste. Was die Strenggläubigen außerdem störte, war die Tatsache, daß die Anhänger des Nazareners nach dem Nachtessen ein Abendmahl feierten – zum Andenken an ihren Meister, zum Andenken an das Passah-Mahl, das er zusammen mit seinen vertrautesten Schülern eingenommen hatte, bevor er in den Tod ging. Der Sache haftete eigentlich nichts Ungewöhnliches an. Es war bekannt, daß auch die Essener, ihrer Regel gemäß, ein ähnliches Mahl zelebrierten: »Wenn der Tisch zum Essen gedeckt und der neue Wein aufgetragen ist, soll der Priester als erster die Hand ausstrecken und die Erstlinge des Brotes und des Weines segnen.« Man betrachtete das rituelle Mahl an sich als harmlos. Aber es lief ein häßliches Gerücht um …
Das essenische Abendmahl leitete sich vom jüdischen Erntedankfest ab und sollte die Essener eigentlich nur in ihren Ge-lübden festigen. Die neue Sekte hingegen setzte den gekreuzigten Unruhestifter unverhohlen mit dem Messias gleich, das hieß mit Jahwe selbst. Es nimmt nicht wunder, daß der Sanhedrin und alle gläubigen Juden die Anhänger des Nazareners nicht nur mit Argwohn, sondern mit Abscheu und Haß betrachteten. Sie machten einen zu Recht abgeurteilten Verbrecher Gott gleich. Natürlich mußten sie vernichtet und mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Gewiß würden die rechtgläubigen Juden bald Gelegenheit haben, an diesen Leuten ein Exempel zu statuieren.
Doch zuvor wurden Petrus und Johannes noch einmal
zur Einvernahme vor den Hohen Rat gebracht. Sie hatten der Anordnung, »diesen Namen« nicht mehr zu erwäh-98
nen, zuwidergehandelt und weiterhin im Tempelbezirk gepredigt. Hassenswert! Daraufhin hatte man sie zum zweitenmal einsperren lassen. Sie konnten aber entkommen.
Entweder hatten sie die Gefängniswärter bestochen oder zu ihrem Sklavenglauben bekehrt (der Kerkermeistern anscheinend ebenso gut anstand wie Bauerntölpeln). Sie hatten nicht einmal versucht, sich in Sicherheit zu bringen oder zu fliehen, sondern in aller Ruhe wieder im Tempel gepredigt. Viele Mitglieder des Sanhedrin waren verständlicherweise erzürnt, als die entwischten Gefangenen zum zweitenmal vorgeführt wurden. Sie hatten die richterlichen Anordnungen mißachtet und damit sicherlich den Tod verdient. (Das Urteil mußte selbstverständlich vom römischen Landpfleger bestätigt werden, aber der wollte gewiß ebensowenig wie sie, daß es zu Unruhen in Jerusalem käme und die Juden verwirrt würden.) Nur die bedachtsamen und klugen Worte von Paulus’ Lehrer Gamaliel hielten die Ältesten davon ab, um das Todesurteil zu ersuchen. Er führte aus, daß diese Männer nichts erreichen könnten, wenn es ihnen an Gottes Beistand mangelte. Wenn dagegen das, was sie sagten, Gott wohlgefiele oder gar von ihm inspiriert sei, würde der Sanhedrin, indem er sie bekämpfte, »wider Gott streiten«.
Pilatus dürfte die ganze Angelegenheit neutral, aber doch interessiert verfolgt haben. Er wollte keinen Unfrieden. Rom war daran gelegen, daß Steuern in die Staatskasse flossen, daß die Länder überall im Reich gut gediehen, daß Ruhe herrschte (denn dann brauchte kein Römer sein Leben zu lassen, um aufrührerische Völker wieder in die Knie zu zwingen). Der Hohe Rat schloß sich schließlich Gama-99
liels Meinung an und ließ die beiden Abweichler laufen –
vorher aber noch gründlich durchprügeln. Man sah ein, daß sich nur noch mehr Geheimnisse um diesen Gekreuzigten gerankt hätten, wenn man wegen der Todesstrafe an den Statthalter herangetreten wäre. Besser, sie stahlen sich so weg, Blut und
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