Die Reisen des Paulus
Botschaft bringen sollte, aber es hatte nie geheißen, zuerst müsse er sozusagen Pseudojuden aus ihnen machen. Die »Prüfungskommission« brauchte er nicht zu berücksichtigen, mit ihren Argumenten wurde er allemal fertig, aber er konnte den Abfall des Petrus nicht außer acht lassen, denn sein Verhalten beeinflußte die anderen natürlich ganz besonders.
Petrus war kein Intellektueller, vermochte auch nicht zu erkennen, daß die gegenwärtige Auseinandersetzung die junge Kirche zerstören konnte. Er war ein großer und gü-
tiger Mann von ergreifender Schlichtheit – deswegen hatte ihn Christus berufen. Paulus fegte die Argumente der Prüfungskommission vom Tisch. Mit Petrus’ Verhalten be-faßte er sich kurz und scharf, vielleicht vor einer Gemeindeversammlung. Er sagte: »Wenn du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du denn die Heiden, jüdisch zu leben?« Darauf konnte Petrus nichts erwidern, wenn er an sein Betragen und seine wirkliche Überzeugung dachte. Er beugte sich Paulus’ logischer Be-weisführung und äußerte auch danach niemals irgendwelchen Groll über diesen Vorfall, der fast einer öffentlichen Demütigung gleichkam. Seine menschliche Größe ließ ihn keinen Haß empfinden, und er konnte stets das Rechte anerkennen, auch wenn er es selbst nicht immer zu tun ver-212
mochte. Außerdem sah er jetzt Paulus’ mißliche Lage. In Antiochien war die Angelegenheit zwar so gut wie geregelt, Paulus hatte die Kirche vor der Spaltung bewahrt, aber noch mußte Jerusalem einwilligen. Jakobus der Gerechte, jene geheimnisvolle Gestalt, die machtvoll, aber schattenhaft, hinter der Geschichte der Urkirche steht, sollte sich äußern.
Eine endgültige Entscheidung war vonnöten.
Paulus, Barnabas und eine Reihe namentlich nicht bekannter Gemeindemitglieder wurden nach Jerusalem gesandt, um genaue Verhaltensmaßregeln für diese peinliche, aber überaus wichtige Sache zu erfragen. Petrus war ihnen anscheinend schon nach Jerusalem vorausgeeilt. Wahrscheinlich suchte er sofort Jakobus auf. Zwar war Petrus der erste Jünger und auch der wichtigste in allen vier Evangelien (bei Markus wird er 23mal, bei Matthäus 24mal, bei Lukas 27mal und bei Johannes 39mal erwähnt), doch als Haupt der Kirche anerkannte man wohl den Bruder Jesu. Kurz hinter Petrus kam die Abordnung aus Antiochien und versetzte alle Christengemeinden am Wege mit den Geschichten aus Kleinasien in Staunen – Staunen über die Kirchen-gründungen in so entlegenen Orten wie Lystra oder Derbe.
Die Abordnung aus Antiochien wurde in Jerusalem von der Versammlung der Apostel und Ältesten empfangen. Mit wachsender Aufmerksamkeit lauschte man dem Bericht, den Paulus und Barnabas über ihre missionarische Tätigkeit in der Fremde abgaben. Gewiß nahm ihre Schilderung von der Ausbreitung des Evangeliums einen Großteil der Zuhö-
rer für sie ein, denn es erhob sich eine Gruppe von pharisä-
ischen Juden – vielleicht dieselben, die in Antiochien gewesen waren – und unterbrach. Sie postulierten: »Man muß sie 213
(die Heiden) beschneiden und ihnen gebieten, zu halten das Gesetz des Mose.« Und dann ging alles drunter und drüber, man stritt über diesen und jenen Punkt; die einen wiesen darauf hin, auch Christus habe manches Mal das Gesetz gebrochen, vor allem, was den Sabbat betraf, die anderen ver-neinten es. Paulus hatte sich wohl schon mit Petrus unterhalten, um vorzufühlen, ob von dieser Seite Unterstützung zu erwarten sei. Höchstwahrscheinlich hatte er auch Jakobus bereits um seine Meinung gebeten. Und nun stand mitten in diesem Tumult Petrus auf und sprach: »Ihr Männer, liebe Brüder, ihr wisset, daß Gott mich lange vor dieser Zeit unter euch erwählt hat, daß durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten …« Und dann wies er darauf hin, Gott habe den Juden und den Heiden den heiligen Geist gegeben und keinen Unterschied zwischen ihnen gemacht. »Was versucht ihr denn nun Gott dadurch, daß ihr ein Joch auf der Jünger Hälse legt, welches weder unsre Väter noch wir haben tragen können? Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus selig zu werden, gleicherweise wie auch sie.«
Petrus’ Eingreifen hatte die erwünschte Wirkung. Die Versammlung beruhigte sich und ließ Paulus und Barnabas mit ihrem Bericht fortfahren. Es ärgerte Paulus vielleicht, daß Petrus von sich behauptete, er sei der allererste Heidenmissionar, denn bei dem Gespräch mit Jakobus vor der Abreise
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