Die Reisen Des Paulus
spricht: Was von Händen gemacht ist, das sind keine Götter. Aber es droht nicht nur unser Gewerbe dahin zu geraten, daß es nichts mehr gilt, sondern auch der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet werden, und sogar ihre göttliche Majestät wird untergehen, welcher doch die ganze Landschaft Asien und der Weltkreis Anbetung erzeigt.« Er sprach also die religiösen Gefühle und Geschäfts-interessen seiner Zuhörer an, was unmittelbare Wirkung hatte. Die Gilden des römischen Reiches waren, wie heute die Gewerkschaften, äußerst empfindlich, unfreundlich gegen Außenseiter und erst recht unfreundlich gegen daherge-laufene Fremde, die versuchten, sie um ihren Lebensunterhalt zu bringen. Und schon wurden die Banner geschwenkt, die sie bei den Prozessionen mitführten, schon erschallten Trommeln und Zimbeln. Und der Ruf stieg auf: »Groß ist die Diana der Epheser!« Wie immer hatte es die Menge auf 306
Paulus abgesehen. Doch zufällig hielt er sich bei Freunden auf, die ihn klugerweise daran hinderten, sich auf die Straße zu wagen. Paulus wollte Rede und Antwort stehen, aber mittlerweile war die ganze Stadt in Aufruhr geraten. Überall Rufe und Schreie. Die Göttin werde von diesen Fremden beleidigt! Artemis sei die Mutter aller Dinge! Ephesus die Heimat der allergrößten Göttin! Der einzigen, die allumfas-sende Macht habe! Schließlich strömte der Mob im Theater zusammen. Auf dem Weg dorthin hatte man Gajus und
Aristarchus ergriffen, zwei mazedonische Gefährten des Paulus. Wie üblich hatten die meisten in der Menge keinen Begriff davon, worum es wirklich ging – es hatten eben irgendwelche Fremde ihre Göttin beleidigt. Am stärksten besorgt waren wie immer die Juden. Und deshalb haßten sie Paulus auch unweigerlich. Obwohl sie glaubten, daß allen Heiden die Gehenna bestimmt war, vermochten sie mit ihnen zweckdienliche Beziehungen zu unterhalten. Dann kamen diese Irren daher, ihnen voran jener Saul, der stets und ständig Aufruhr machte. Natürlich wußten sie, daß die Diana von Ephesus ein Götzenbild war, nichts als Abgötterei, vor der die Propheten sie gewarnt hatten – aber dieses Wissen behielten sie für sich. Ein Jude namens Alexander, der offenbar zu den führenden Köpfen der Gemeinde gehörte, wurde von den anderen gebeten, er möge der Menge klar-machen, daß nicht die Juden schuld seien, sondern nur ein paar Abweichler, vor denen sie selbst nicht die geringste Achtung hätten. (Dieser Alexander könnte durchaus der Schmied sein, über den Paulus im zweiten Brief an Timotheus so herbe Worte sagt.) Doch immerhin war er tapfer genug, um vor die heulende Menge im Theater zu treten.
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Der Mob wußte wohl, daß die Juden nicht an ihre Göttin glaubten. Man hörte Alexander nicht zu. Als er das Wort ergreifen wollte, erkannten die Leute ihn, den Juden aus der Lokalprominenz, und riefen: »Groß ist die Diana der Epheser!« Der Lärm hielt zwei Stunden an. Die Menge wurde erst beschwichtigt durch den »Kanzler« der Stadt, der offenbar mit Menschenmassen umzugehen wußte. Erst ein-
mal beruhigte er sie, indem er ausführte, jedermann wisse, daß die Stadt Ephesus die Hüterin des Tempels der Großen Göttin sei und die Hüterin »ihres Bildes, das vom Himmel gefallen ist«. (Ein interessanter Hinweis – der Kult entstand hier vor Jahrhunderten, als ein Meteorit niederging.) Dann sagte er ihnen eindringlich, sie sollten nichts Unbedachtes tun. Er fügte hinzu, wenn die Gilde der Goldschmiede eine berechtigte Klage zu führen habe, so gebe es bekanntlich ja Gerichte, die dergleichen verhandelten. Außerdem wies er darauf hin, für alle Bürger von Ephesus bestünde die Gefahr, wegen Aufruhrs angeklagt zu werden (und jeder wuß-
te, daß die Römer hart durchgriffen, wenn der Friede ernstlich gestört wurde). Das genügte. Die Menge schwieg stille, zerstreute sich, und alle gingen nach Hause. Letzten Endes hatte Paulus die ganze Affäre verursacht. Kein Zweifel, wenn die Freunde ihn hätten gehen lassen, wäre er als erster vor die Menge getreten, um das Wort an sie zu richten.
Wahrscheinlich hätte man ihn in Stücke gerissen. Es ist bezeichnend, daß er gleich nach diesem Vorfall die Stadt verließ. Personen von der hiesigen Obrigkeit, die ihn schätzten und die vielleicht sogar zum Christentum übergetreten waren, hatten ihn davor gewarnt, sich im Theater zu zeigen.
Wahrscheinlich rieten sie ihm jetzt zu gehen. Er war zwei 308
Jahre lang in Ephesus gewesen. Obwohl das
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