Die Reisen Des Paulus
Ende wie üblich turbulent war, konnte er auf gewisse Erfolge zurückblik-ken: Er hatte in einem Bollwerk des Heidentums eine kleine Christengemeinde aufgebaut und viele dazu gebracht, an ihrer Fruchtbarkeitsgöttin zu zweifeln. Es mag seltsam scheinen, daß die Botschaft der Liebe und des Friedens stets in Gewalttätigkeit endete, doch Paulus provozierte – er stellte jahrtausendealte, allgemein gebilligte Glaubensrichtungen in Frage. Und der Mensch denkt nicht gern über sein ge-fühlsmäßiges Erbe nach, unter anderem, weil dies beträchtlichen intellektuellen Aufwand erfordert. Während Paulus sich in Ephesus aufhielt, geschah etwas, was sich für das ganze Römische Reich als bedeutungsschwer erweisen sollte. Kaiser Claudius starb. Manche behaupteten, seine Frau habe ihn umgebracht, ihm Gift in sein Lieblingsessen, ein Pilzgericht, geträufelt. Es ist in der Tat nicht ganz unwahrscheinlich, daß Claudius’ Gattin Agrippina, die er selbst als
»unzüchtig und auch ungezüchtigt« bezeichnete, ihre Hand mit im Spiel hatte. Unbeschadet seiner körperlichen Schwä-
che war Claudius ein guter Herrscher gewesen. Er hatte versucht, das riesige Reich gerecht und klug zu regieren. Paulus erfuhr in Ephesus wohl von der Neuigkeit, aber wahrscheinlich erkannte er nicht, daß der Tod dieses Römers sich auch auf sein Leben auswirken würde – zwar hing er nicht übermäßig am Leben, aber er wollte es gewiß so gut und nützlich verwenden, wie er konnte. Claudius war 64, als er starb. Er hatte vierzehn Jahre geherrscht. Wir wiesen schon einmal darauf hin, daß Paulus’ große und erfolgreiche Zeit in die Regierung dieses Kaisers fällt. Und das war nicht nur Zufall. Verwaltung und Justiz arbeiteten gut, Straßennetz und 309
Seewege waren sicher und wurden ständig überwacht, und Paulus hatte sein Leben mehr als einmal der Unparteilich-keit und Gerechtigkeit von Römern zu verdanken. Den
Mann, der ihm auf den Thron folgte, hatte Claudius adop-tiert. Er entstammte einer früheren Ehe seiner Gattin Agrippina mit einem gewissen Gnaeus Domitius Ahenobarbus
(der dritte Name bedeutet »Rotbart«). Die Überlieferung wollte wissen, daß die Götterjünglinge Kastor und Pollux das bisher schwarze Haupt- und Barthaar des Familien-gründers zum Zeichen ihrer Gunst in »ehernes«, rötlich-bronzefarbenes, verwandelten. Der neue Kaiser hieß mit vollem Namen Nero Claudius Cäsar Drusus Germanicus.
Über einen seiner Vorfahren hatte man gesagt, als er in Rom einen Triumph feierte, bei dem er auf einem Elefanten ritt:
»Kein Wunder, daß er einen ehernen Bart hat, da doch seine Stirn von Eisen und sein Herz aus Blei ist.« Und sein Ur-Ur-Urenkel zeigte ähnliche Züge, wenn auch auf recht andere Weise. Sueton schreibt von Neros Vater, er sei in jeder Hinsicht ein abscheulicher Mensch gewesen: „… wie er denn
… in einem Weiler an der Appischen Straße einen Knaben in einem plötzlichen Anfall seiner Laune vorsätzlich durch zu schnelles Fahren räderte und in Rom selbst einem römischen Ritter, der sich erlaubte, ihm in einem Zanke mit drei-sten Worten zu erwidern, mitten auf dem Forum ein Auge ausschlug … Auch wegen Majestätsbeleidigung, mehrfachen Ehebruchs und Blutschande mit seiner Schwester Lepida ward er kurz vor dem Tod des Tiberius angeklagt …« Der Kaiser, während dessen Regierungszeit der römische Bürger Paulus den Rest seines Lebens verbrachte, hatte einen un-heilschwangeren familiären Hintergrund. Seine Mutter 310
Agrippina, die stets untreue Gattin des Claudius, war ebenso gewalttätig, sadistisch und psychisch instabil wie ihr erster Mann. Als man Neros Vater zur Geburt seines Sohnes gratulierte, meine er, »von ihm und der Agrippina habe un-möglich etwas anderes als ein Scheusal und Verderben der Welt geboren werden können!« Otto Kiefer schreibt in seinem Werk über das Sexualleben im alten Rom: »Es ist ge-wiß, daß Nero erblich schwer belastet war … Der junge Nero entwickelte sexuelle Charakteristika von solcher Viel-falt und Widersprüchlichkeit, daß es verblüfft, sie alle bei ein und derselben Person vorzufinden. In vorläufiger Zu-sammenfassung hieße das: Nero war ein guter Ehemann, hatte aber nichtsdestoweniger starke homosexuelle Neigungen; außerdem unterhielt er viele außereheliche Beziehungen zu Frauen, auch wies sein Charakter sadistische Züge auf.« Es bleibt die Tatsache, daß er ein vorzüglicher Sänger war, ein Dichter, ein Bewunderer von Singspiel und Drama.
Er liebte
Weitere Kostenlose Bücher