Die Reisen Des Paulus
die Baukunst und tat viel zur Verschönerung Roms und anderer Städte des Reiches. Unter anderem hatte er den ehrgeizigen, aber durchaus vernünftigen Plan, den Isthmus von Korinth zu durchstechen. Ein Kanal sollte dann Ägä-
isches und Ionisches Meer verbinden. Dies kam jedoch erst im 19. Jahrhundert zustande. Die Arbeitskräfte und die relativ primitiven Werkzeuge, die den Römern verfügbar waren, reichten nicht hin, um die Schwierigkeiten dieses Ge-ländes zu meistern, das zum großen Teil aus schierem Fels besteht. Und gleichzeitig war Nero ein völlig unverantwortlicher Herrscher. Im Privatleben ähnelte er dem Tiberius.
Hören wir dazu Sueton: »Seinen eigenen Leib gab er in dem Maße preis, daß er, nachdem fast kein Teil desselben 311
unbefleckt geblieben war, eine Art Spiel ausdachte, in welchem er in das Fell eines wilden Tieres genäht aus dem Be-hälter herausgelassen wurde und in diesem Aufzuge sich auf die Schamteile der an den Pfahl gebundenen Männer und Frauen losstürzte und, nachdem er seine wüste Lust gebüßt, sich endlich von Doryphorus, einem Freigelassenen, erlegen ließ, den er sogar ebenso seinerseits zum Manne nahm, wie er den Sporus zur Frau genommen hatte, wobei er auch die Töne und Aufschreie der Gewalt leidenden Jungfrau-en nachahmte.« Sporus war ein schöner Knabe, den Nero (theoretisch wenigstens) in ein Mädchen verwandelte, indem er ihn entmannen ließ, und den er mit allen offiziellen Heiratszeremonien ehelichte. Sueton zitiert auch ein damals verbreitetes Witzwort aus Rom: »Es wäre ein Glück für die Menschheit gewesen, wenn Neros Vater eine solche Gemahlin gehabt hätte!« In Neros berühmtem »Goldenen Haus« stand eine über 30 Meter hohe Statue von ihm.
Dazu gehörte außerdem ein Teich, der von zahlreichen Ge-bäuden umgeben war. Die ganze Anlage ähnelte eher einer Stadt als einem Haus oder einem Palast. »Die Speisezim-mer hatten getäfelte Decken von Elfenbeinplatten, welche beweglich waren, um Blumen, und mit Röhren versehen, um wohlriechendes Wasser von oben her über die Gäste zu streuen und zu sprengen. Der Hauptspeisesaal war eine Ro-tunde, dessen gewölbte Decke in einem fort Tag und Nacht sich wie das Weltall herumdrehte. Die Bäder wurden teils mit Meerwasser, teils mit Wasser aus der Albula gespeist.
Als er dieses Prachtgebäude … einweihte, sagte er, um seine Zufriedenheit mit demselben auszudrücken, bloß: jetzt fange er doch endlich an, wie ein Mensch zu wohnen!«
312
Ungefähr zur selben Zeit ging ein anderer Mensch, ein kahlköpfiger, bärtiger kleiner Mann, mit einigen Gefährten an Bord eines Küstenfahrzeugs, das den Hafen Troas zum Ziel hatte. Er war verantwortlich für einen Aufruhr in der Stadt Ephesus. Zweifellos ein Unruhestifter. Nero wußte nicht einmal von seiner Existenz.
*
33
D W
Paulus bewegte sich in Raum und Zeit. Sein fast besessenes Reisen durch das östliche Europa läßt sich natürlich nicht mit den Fahrten der Entdecker in späteren Jahrhunderten vergleichen. Christoph Columbus zum Beispiel war von einem Traum beseelt – und dahinter stand die Hoffnung auf ein großes Vermögen. Francis Drake trieb die Begierde nach Rache an seinen Feinden – und dahinter stand die Hoffnung auf ein großes Vermögen. Paulus suchte kein Vermögen im weltlichen Sinn. Sein Werk kann nur aus jenem blendendhellen Licht gedeutet werden, das ihn unversehens auf der Straße nach Damaskus umleuchtet hatte.
Von Troas fuhr er wieder hinüber nach Mazedonien. In Mazedonien gab es wieder den üblichen Ärger – man hatte seine Botschaft falsch ausgelegt. Und es war immer seine Botschaft. Wenn sie anders interpretiert wurde, als er es wollte, kannte sein Zorn keine Grenzen. Die Energie, mit der er uns in seinen Briefen und in seinem Leben entgegen-tritt, ist wahrhaft erstaunlich, zumal wenn man bedenkt, daß er oft sehr krank war. Von Mazedonien zog er weiter nach Süden, nach Griechenland, »und verweilte allda drei Monate«. Er ging zu Fuß oder ritt auf dem Maultier oder saß auf den schwankenden Decks kleiner Segelschiffe. Das hätte jeden Menschen angestrengt. Mag Paulus auch im Innersten ein Träumer, ein Romantiker und Dichter gewesen sein, daneben war und blieb er Praktiker und Geschäftsmann. Sein Erfolg, der Erfolg der Organisation, die er im Laufe seiner Reisen aufzubauen vermochte, läßt sich durch-314
aus mit dem eines erstklassigen Verkaufsleiters vergleichen.
Paulus war die
Weitere Kostenlose Bücher