Die Reisen Des Paulus
man kann ohne ein weises, gutes und gerechtes Leben nicht glückselig werden.« Epikur starb 270 v. Chr. im Alter von 72 Jahren in Athen.
Mit Anhängern dieser beiden philosophischen Richtun-
gen kam Paulus also ins Gespräch. Er verkündete die Auferstehung Christi und wurde natürlich mißverstanden. Sie alle waren bereit, über die Natur des Menschen zu reden, über seine Stellung im Universum und über die Existenz eines allmächtigen Gottes. Sie waren gebildet, sie beteten keine Idole an – das mochte das Volk tun, die Bauern, die auf sichtbare und schlichte Weise an die Naturkräfte, welche die Welt formten, gemahnt werden mußten. Wovon sprach dieser merkwürdige, kurzgewachsene Jude nun eigentlich? Die Vorstellung von der fleischlichen Wiederauferstehung des Menschen war einfach lächerlich. Man hatte an Bestattun-gen teilgenommen, man wußte, daß der Leib zu Staub zer-fiel, ob man ihn nun begrub oder verbrannte, daß er sich in Atome auflöste, die Bausteine aller Dinge. Zur selben Zeit sagte in Rom der stoische Philosoph Seneca, jeder recht-denkende Mensch sei ein Pilger auf der Suche nach dem Guten. Diese Weisheit versuchte er einem Schüler zu ver-276
mitteln, der ihm leider nicht viel Ehre machte: dem späteren Kaiser Nero.
Daß Paulus seinen Glauben so leidenschaftlich verfocht, vermochte die gelehrten und kultivierten Athener nicht sonderlich zu beeindrucken. »Und etliche sprachen: Was will dieser Schwätzer sagen?« Die griechische Entsprechung für
»Schwätzer« heißt spermologos und bedeutet wörtlich: ein Mensch, der aus der Gosse Samenkörner aufliest, um sich am Leben zu erhalten, und im übertragenen Sinne: jemand, der die Ideen anderer Menschen übernimmt, ohne sie wirklich zu begreifen, und sie als seine eigenen feilbietet. Was fiel ihm nur ein? Er kam nach Athen, der Heimat der Philosophie, und erzählte wortreich von einer völlig obskuren Gestalt. Wie meinte er? »Es sieht aus«, sagten einige, »als wolle er fremde Götter verkündigen.« Sie waren neue Kulte und Mysterienreligionen aus dem Osten gewohnt, aber nur wenige davon konnten dem Blick eines prüfenden Geistes standhalten. Es spricht für Paulus’ außergewöhnliche Persönlichkeit, daß die Athener ihn immerhin ernst genug nahmen, um ihn zu einer Versammlung auf dem Hügel des Ares, dem Areopag, einzuladen. Früher hatte man auf dem Areopag Gericht gehalten. Hier trugen eines Mordes oder eines Verbrechens gegen den Staat Angeklagte ihre Verteidigung vor. Es ist zweifelhaft, ob das Gericht auch zu Paulus’ Zeit noch auf dem Areopag tagte, aber er galt den Athenern als Stätte des – zumindest symbolischen – Gerichts.
Hier kam die Wahrheit ans Licht. Zwei weiße Steine bezeichneten den Platz, der dem Angeklagten und dem An-kläger zugewiesen war: der Stein der Schande und der Stein der Unerbittlichkeit. Kaum anzunehmen, daß Paulus oder 277
die Fragesteller sich gerade hier postierten, bei den alten Symbolen, die von den alten Tagen zeugten, da die Athener die stolzesten Bürger Griechenlands waren und ihre Angelegenheiten selbst bestimmten. Trotzdem haftete dem Areopag noch jene Nebenbedeutung an – und mochte Paulus das auch nicht wissen, seine Zuhörer wußten es sicherlich. Diesem Fremden mit seinem cilicischen Griechisch, der da behauptete, ihre Philosophen hätten sich geirrt, er besä-
ße einen zauberischen Schlüssel zu allen Geheimnissen des Universums, diesem Fremden wurde sozusagen der intellektuelle Prozeß gemacht. Wenn er recht haben wollte, sollte er’s beweisen. Sie bewiesen ihrerseits, daß der athenische Liberalismus für alle galt, sogar für obskure jüdische Wanderprediger: vorausgesetzt natürlich, sie konnten ihre Meinung auch vertreten und vernünftig argumentieren.
Paulus begann nicht schlecht. »Ihr Männer von Athen, ich sehe, daß ihr in allen Stücken gar sehr die Götter fürchtet …« Das ließen sie sich eingehen, obwohl es einen An-strich von Gönnerhaftigkeit hatte; und das ihnen, den Erben von Sokrates, Platon und Aristoteles – um nur einige wenige Namen aus dem gewaltigen geistigen Vermächtnis zu nennen. Und jetzt sprach er von einem Altar, der »dem unbekannten Gotte« geweiht war. Nichts Ungewöhnliches, solche Altäre gab es öfter. Und es bedeutete lediglich, daß man nicht eine Gottheit beleidigen wollte, die vielleicht bei der Errichtung von Altären in dieser oder jener Stadt vergessen worden war. Er verehrte also diesen unbekannten Gott?
Seltsam. Sehr seltsam.
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