Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
Vom Netzwerk:
werdenden Gestöber bröckelt das Steinmassiv, zerfällt ein Haus nach dem anderen und fliegt als Ruß durch die Luft. Die Auflösungslawine erreicht die letzte Spiegelwand und nimmt ihr mit einem Hauch ihre makellose Glätte.
»Nicht sie… hört, ihr…« Eine Stimme dringt durch das Heulen des Sturmes. »Sie wissen nichts von den Signalen… Versteht ihr? Sie haben sie nie moduliert, sie wissen nichts von der Strahlung der lebenden Materie… merkt es euch… das ist sehr wichtig… sie haben nie ein Signal ausgesandt! Nicht sie…!«
Rudier wirft sich in den Wirbel der Atmosphäre und reißt mit Nezers Händen den einen der beiden Körper, der noch nicht mit den Steinen zu Staub zerfallen ist, aus den berstenden Mauern.
Er schüttelt den Ohnmächtigen.
»Warum ist er geblieben?«
Orst bewegt tonlos die kalkweißen Lippen, aus dem Rauschen der Bioströme im Bewußtsein des Systems erklingen artikulierte Worte: »Er wollte es so… Er konnte sie nicht allein lassen.«
Eine magnetische Blase des Raumschiffsystems reißt mit den Armen eines Kraftfeldes zwei Menschen von der Oberfläche des Planeten, und der Wind verweht die Spuren ihrer Füße, als wäre niemals jemand dort gewesen. Nur der Staub schwebt über dem Boden, wie schwerer, schwarzer Rauch.
    Nach dem Sturm kehrt Ruhe ein. Eine absolute Bewegungslosigkeit und eine durch nichts gestörte Stille, da niemand etwas ändern kann, nichts hinzufügen und nichts wegnehmen aus dem Szenarium, das die Naturgewalten aufgeführt haben. Die Stille ist für jene, die es überstanden haben, schonungslos. Man kann nur schweigend, mit blicklosen Augen in den Raum starren, der mit der Umarmung einer toten Leere eine weitere tote Welt begrüßt hat.
    Rudier lauscht. Irgendwo, am anderen Ende des Raumschiffs, spürt er unterbewußt die Nähe der beiden, die ein eigenständiges System bilden. Ohne ihn. Ihre Wege führen in entgegengesetzte Richtungen. Bald wird der Sumpf des Raumschiffs eine gläserne Kugel auswerfen, wie einen Fischrogen, eine Miniatur des Mutterschiffes, die er hinlenken kann, wo er will, also dorthin, wohin er Angst hat zurückzukehren. Dennoch wird er es tun, trotz der Unruhe, die seinen Herzschlag beschleunigt beim bloßen Gedanken an den Namen dieses Planeten.
    Nezer und Orst werden weiterfliegen. Sie kehren niemals um. Sie werden durch die Stürme der Milchstraße hindurch von einer sonderbaren Stimme gerufen. Irgendwo unter all den Sternen stirbt noch eine Welt unbekannter Blumen, Bäume und Vögel. Vielleicht werden sie dieses Mal zur rechten Zeit kommen, und es wird ihnen gelingen, das Geheimnis von Paldans letzten Worten zu lüften: »Sie haben nie ein Signal gesandt…« Wenn nicht die intelligenten Wesen dieses Planeten die Strahlung der lebenden Materie moduliert haben, wer war es dann? Wer hatte noch Macht über die Stimme der gesamten Biosphäre, die mit symbiotischen Fesseln alles Lebende dem Bewußtsein des Systems ähnlich gemacht hatte? Keine Zelle des menschlichen Körpers ist in sich intelligent, kein Blatt, keine Blume, kein Stein haben ein Bewußtsein… Der scharlachrote Planet kann nichts mehr verraten. Die Antwort darauf muß woanders gesucht werden, auf der Ebene der galaktischen Ekliptik, wo noch eine eigenartige Stimme ruft, wo auch eine Welt stirbt: vielleicht eine Welt dunkelroter Wiesen, märchenhafter Vögel und singender Bäume.
    Rudier schüttelte den Kopf, versuchte die aufdringlichen Gedanken zu verscheuchen. Es war Zeit. Schon geriet das Innere des Schiffes in Bewegung, neue Ströme durchbrachen die Synchronisation der Kraftfelder in den Spanten der gläsernen Sphären, weckten ein gleichmäßiges Geräusch wie von sich nähernden Schritten.
    Rudier erzitterte. Zwei Augenpaare schauten ihn mit demselben Ausdruck im Blick aus dem Halbdunkel an.
»Ihr seid gekommen…«, sagte er. »Ich mag keinen langen Abschied, aber ich danke euch.«
Als wollte er sich rechtfertigen, streckte er ihnen die Hand entgegen.
»Verzeiht mir, ich kann nicht mitkommen. Solche wie ich müssen irgendwann zurückkehren…« Er lächelte blaß. »Und euch wünsche ich viel Erfolg. Vielleicht werden wir…«
Er wollte sagen »uns irgendwann wieder begegnen«, aber ‘ er wußte genau, daß er sie zum letzten Mal sah. Die beiden Menschen standen ihm in himmelblauer Phosphoreszenz gegenüber, unter dem die Wände durchdringenden Blick der Sterne, im fahlen Licht konnte er ihre Gesichter nicht erkennen.
»Wir sind gekommen, um dir zu sagen, warum gerade

Weitere Kostenlose Bücher