Die Rekonstruktion des Menschen
heißt Orst.
»Du kannst dich mit Paldan koppeln.«
»Nein, nein…« Rudier fürchtet sich noch immer. »Erzähl es mir lieber… Sind sie da?«
»Ja, Paldan versucht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.«
»Wie sieht ihre Welt aus?«
»Schau selbst.«
Das Gesicht in der Wand öffnet die Augen mit Pupillen, so tief wie Brunnen, die ihn in einen bodenlosen Abgrund ziehen. Der Tunnelgang, der den Raum durchbricht, weicht zur Seite, und der Blick erreicht eine schneeweiße Ebene.
»Bist du es, Paldan?«
Milchigweiße, opalisierende Ströme türmen sich zu Katarakten von innen heraus leuchtender Perspektiven, sie formen gigantische, geöffnete Perlmuscheln. Im wirbelnden Tanz weißer Nebel fallen sie nieder, breiten ihre Flügel aus wie vom Licht geblendete weiße Motten mit Flügelschultern, Flügelaugen, Flügelgesichtern… Und schon ist nichts vorhanden als diese Gesichter und die ausgestreckten Hände, weiße Erscheinungen, die in einem Schattenreigen hinter dem Horizont schweben.
»Sie haben ja menschliche Gesichter!«
»Nein, Rudier. Was immer du siehst, alles ist nur die Interpretation deiner anthropomorphen Phantasie. Hier gibt es keine Formen.«
»Dennoch scheinen sie menschlich.«
Die wächsernen Gestalten wirbeln in besessener Trance absoluten Weißes, das in einem immer dichter werdenden Schneetreiben diese Welt verdeckt und mit immer neuen Wellen aus den vielschichtigen Weiten des Raumes herniedersinkt. Mit einer blinden Determination drängen sie vorwärts, immer weiter, dorthin, wo in einer grauen Schleife des Horizonts noch immer ein verblassender Geysir leuchtende Röte verbreitet. Und obwohl es schwer ist, in diesem phantasmagorischen Kaleidoskop etwas Menschliches zu entdecken, sind da die Mimik, die Gesten, die Bewegungen…
»Paldan, sie fliehen doch!«
»Ich weiß, ihre Welt stirbt. Sie versuchen, der Leere zu entfliehen.«
Eine plötzliche Unruhe trübt Rudier den Blick. Der Impuls kommt von dort, wo in der Kabine des über dem Planeten schwebenden Raumschiffs der wirkliche Rudier geblieben ist, er befiehlt zurückzukommen, den Blick von der Molekularstruktur des Steines unter der Wolkendecke loszureißen.
»Ihre Welt stirbt genauso schnell, wie die Steine bröckeln«, stellt Paldans Stimme fest. »Wenn wir wüßten, weshalb das geschieht – vielleicht könnten wir dann noch helfen.«
»Paldan! Etwas ist geschehen, hörst du mich?«
»Vielleicht gelingt es mir zu verstehen.«
»Komm zurück, Paldan!«
Der schwarze Schacht weicht. Ein Augenpaar ist weit geöffnet. Eine senkrechte Wand und darin zwei gekreuzigte Gestalten. Ein scharlachroter Wirbel durchdringt die Luft, läßt den Boden unter sich, und wieder flattert ein Funken in der gewölbten Schale des Himmels.
Und plötzlich dringt durch die Stille ein kaum wahrnehmbares Seufzen. Das ist ein aus dem kosmischen Rauschen aufgefangenes Signal eines biosphärischen Senders. Seinem verebbenden Rhythmus folgt ein leiseres, aber gleichsam weniger erschöpftes Echo. Rudier versteht noch nicht, aber die Bioströme des Systems durchlaufen den Mechanismus des Schiffes, erreichen die Blöcke der Radartechnik, und ein unfehlbarer Sinn zeigt die Richtung an, wählt einen von Milliarden Sternen aus.
»Da ist es! Ich habe es gefunden!«
Rudier will rufen, den dreien da unten die Neuigkeit mitteilen, als sein Blick auf dem Diskus des Planeten erstarrt. Rudier versteht plötzlich den wahren Grund seiner Rückkehr. Das war nicht diese Stimme; es genügt, nach unten zu blicken:
Das Massiv der Wolken, beständiger als Stein, war geborsten, hatte die Ebene des Planeten enthüllt. Auf der bräunlich gewordenen Oberfläche erhoben sich die Krater der Stadt. Sie standen scheinbar unbeweglich, aber eine Bö vom Pol her verwusch sie und zog sie in Windrichtung sonderbar auseinander. Immer dichter werdende schwarze Streifen breiteten ihre Arme über der toten Ebene aus, der Wind wirbelte den Staub auf, in den die Mauern der Stadt zerfielen.
Rudier starrt stumpfsinnig vor sich hin, er sieht nichts mehr außer den wächsernen Gesichtern, außer dieser Prozession von Wesen, die sich selbst zu einem Dasein im Winde verwehender Kristalle verdammt haben. Ein Reigen verblassender Schatten und… Paldan!
»Paldan! Paldaaan!«
Über die Oberfläche des Planeten braust das Auge eines Zyklons. Die schwarzen Streifen kriechen immer schneller, wie die Ausstülpungen einer Unterschlupf suchenden Amöbe.
»Nezer! Orst! Warum befehlt ihr ihm nicht zurückzukommen?«
In dem immer stärker
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