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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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ihr mehr Glück. Aber ihr müßt euch beeilen. Dieses Gestein… es zerfällt, bröckelt mit jedem Jahr, mit jedem Tag.«
In der absoluten Stille brachte ein leises Rauschen, wie der schüchterne Hauch eines Windes, die Luft in Bewegung. Dann kehrte wieder Stille ein.
»Das ist seltsam, Rudier. Auch die Stimme, die wir aus der Entfernung einiger Parsek empfangen haben, jenes von den intelligenten Wesen der Biosphäre des ganzen Planeten modulierte Signal, wurde immer schwächer. Wir haben Beobachtungen durchgeführt und festgestellt, daß es seit einigen Jahren erlischt.«
Voller Angst blickte sich Rudier nach dem hinter ihm aufragenden tauben und mächtigen Felsmassiv um.
»Das ist das Ende!« sagte er. »Wann werdet ihr hier sein?« »Wir sind schon da.«
Er drehte sich ruckartig um und machte einen Schritt nach vorn, die Hand ausgestreckt. Zwischen den milchigrosa Streifen, die das unbewegliche Grasmeer durchbrachen, standen drei große Gestalten, sie sahen aus wie nackt, ihre Körper wurden von einem Quecksilberglanz umhüllt. Rudier wollte die Gesichter dieser Menschen näher betrachten, aber durch die hastige Bewegung waren seine Augen geblendet, und er konnte vor dem scharlachroten Hintergrund des Himmels ihre Züge nicht unterscheiden.
    Die Sterne waren wieder an ihrem alten Platz, sie hatten die Milchstraße wie einen Turban im Raum ausgebreitet. Rudier umfing sie mit einem gierigen Blick und fühlte sich unter dem blauen Himmel der Heimat näher. Dabei war die Entfernung dorthin nicht geringer geworden; nichts bedeutete im Verhältnis zu den Dutzenden Lichtjahren dieser erste Schritt unter dem Vorhang der Wolken hervor, die sich jetzt unter ihm ausbreiten und das Oval des Planeten in Purpur hüllten.
    »Hörst du uns, Rudier?«
Das war eine Stimme von dort unten.
»Ich höre euch. Ich habe die ganze Zeit gewartet.« Er liegt unbeweglich auf dem Boden einer riesigen Schale,
    die bis an den Rand mit der Perspektive des kosmischen Raums angefüllt ist.
»Ein Glück, daß es hier keinen Wind gibt… alles bröckelt.«
»Was macht ihr?«
»Wir dringen in ihre Welt ein. Das ist die letzte Chance für eine Kontaktaufnahme.«
»Geht ihr alle drei?«
»Nur Orst und Paldan, zwei genügen.«
Rudier bewegt sich im Mittelpunkt einer Kristallkugel, mit jeder Bewegung, mit jedem Gedanken verändert er den Verlauf silberner Fäden, die wie auf gespannten Saiten die Elemente dieser Raumkonstruktion auffädeln. Er spürt den eigenen Körper nicht, ist im selben Augenblick überall, wie ein aus dem Schädel herauspräpariertes Gehirn erreicht er mit seinen Neuritenfasern die entferntesten Winkel des Raumschiffs. In den Stromkreisen unsichtbarer Maschinen findet er die Unfehlbarkeit mathematischer Abstraktionen, dennoch quälen ihn menschliche Zweifel. Er braucht nach gar nichts mehr zu fragen. Das System enthält nur ein Bewußtsein, aber dieses Etwas namens Rudier wehrt sich noch, versucht seine Eigenständigkeit zwischen den Mechanismen aufrechtzuerhalten, sich den Schein einer Welt zu bewahren, die es nicht mehr gibt, und hat Angst vor dem Aufgehen im Bewußtsein dieses Systems.
Er versucht seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, indem er immer neue Parabolantennen ausfährt. Elektronische Sensoren irren den galaktischen Äquator entlang und suchen nach einem Signal ähnlich dem Ruf, der das Raumschiff hierhergeführt hat. Es ist gekommen, aber zu spät, um den Untergang des scharlachroten Planeten zu verhindern, es wird auch genauso überraschend wieder fortfliegen. Es wird sich auf der Trajektorie entfernen, die durch seinen gegenwärtigen Standort gekennzeichnet wird und durch jenen anderen Ort, der nicht länger die mythische Erde ist, sondern das System.
»Nichts, Rudier?«
»Nichts. Ich suche weiter.«
Die drei, die sich jetzt dort unten befinden, werden bald zurückkommen und mit ihrem Raumschiff wegfliegen – vorwärts. In der gesellschaftlichen Hierarchie ihrer Zivilisation sind sie eine Abteilung Aufklärer, die einer nachfolgenden Kolonisationswelle den Weg ebnet. Die Dynamik der kosmischen Expansion erfordert das. Für sie gibt es kein Zurück – sie sind die Vorposten. Nach ihnen kommen andere, aber die kosmischen Aufklärer sind schon wieder einen Schritt weiter, einen Schritt, der nach Dutzenden Lichtjahren gemessen wird. Und daran ändert auch nichts, daß der blinde Zufall ihnen jemand wie Rudier in den Weg stellt. Sie werden ihm eine Zelle ihres Raumschiffs überlassen, einen automatischen Teil

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