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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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mitkommst? Ja, wenn du mich begleiten würdest…«
»Hör auf zu schwatzen«, sagte Candide. »Lauf sofort ins Dorf und warte dort auf mich. Sprich aber mit niemandem.«
»Und du?«
»Ich bin ein Mann«, sagte Candide, »mir tut niemand was.«
»Und ob sie dir was tun«, entgegnete Nawa. »Ich sag’ dir doch: Es sind die Mißgeburten. Denen ist’s egal, ob Mann, Frau oder Schatten, sie machen selbst ‘ne Mißgeburt aus dir. Dann wirst du hier rumlaufen, schrecklich zugerichtet, und wirst nachts an einem Baum festwachsen… Wie soll ich denn allein zurück, wenn sie dort hinten lauern?«
»Diese Mißgeburten gibt es gar nicht«, sagte Candide ohne große Überzeugung. »Sind doch alles Lügen…«
Er schaute zurück. Was sich dort hinter der Wegbiegung tat, konnte er genausowenig erraten. Nawa redete auf ihn ein, im Flüsterton, hastig und wortreich, was das unangenehme Gefühl noch verstärkte. Er packte den Knüppel fester.
»Also gut. Du gehst mit mir. Nur halte dich an meiner Seite und richte dich genau nach meinen Anweisungen. Ohne zu zögern, hörst du. Vor allem aber schweig, mach den Mund zu und schweig, bis wir im Weiler sind. Komm jetzt.«
Zu schweigen brachte sie natürlich nicht fertig. Sie hielt sich tatsächlich an seiner Seite, rannte nicht mehr voran, blieb auch nicht zurück, plapperte aber ununterbrochen vor sich hin, Gab zuerst etwas über die Mißgeburten von sich, dann über den Keller, dann über Hinkebein, mit dem sie diesen Weg mal gegangen war und der ihr eine Rohrpfeife gefertigt hatte… Sie passierten die eine gefährliche Wegbiegung, passierten die nächste, und Candides Spannung hatte bereits etwas nachgelassen, als aus dem hohen Gras, vom Sumpf her, mehrere Gestalten auftauchten, die sich schweigend vor ihnen aufbauten.
Also doch, dachte Candide müde. Was ich nur für ein Pech habe. Ich hab immerzu Pech. Er schielte zu Nawa hinüber. Nawa schüttelte heftig den Kopf, ihr Gesicht war verzerrt.
»Du darfst mich ihnen nicht ausliefern, Schweiger«, murmelte sie, »ich will nicht mit ihnen gehn. Ich will mit dir gehn, gib mich nicht weg…«
Er musterte die Gestalten. Es waren sieben – alles Männer, allesamt bis zu den Augen zugewachsen und mit riesigen knorrigen Knüppeln ausgestattet Leute von auswärts mußten das sein, auch wie Auswärtige gekleidet, ihre Sachen schienen aus anderen Pflanzen hergestellt. Es waren Räuber.
»Na, was steht ihr da wie angewachsen?« sagte ihr Anführer mit tiefer, hallender Stimme. »Kommt ruhig näher, wir tun euch nichts zuleide… Wärt ihr Schatten, würde unsre Unterhaltung natürlich anders verlaufen, ach was, es gäbe erst gar keine Unterhaltung, wir würden euch mit unsern Knüppeln bearbeiten, und das wär’ unsre ganze Unterhaltung… Wo wollt ihr eigentlich hin? Zum Weiler, wenn ich richtig sehe? Das könnt ihr gern tun, bitte sehr. Wenigstens du, Väterchen, geh ruhig deiner Wege. Dein Töchterchen freilich überläßt du uns. Das braucht dir nicht leid zu tun, bei uns wird sie’s besser haben…«
»Nein«, sagte Nawa, »ich will nicht mit ihnen gehn. Hör nicht auf sie, Schweiger, mit ihnen geh’ ich nicht, das sind doch Räuber…«
Die Räuber lachten ohne jede Boshaftigkeit, wie ganz normale Menschen.
»Und wenn ihr uns nun beide durchlaßt?« fragte Candide.
»Nein«, sagte der Anführer, »beide, das geht nicht. Hier wimmelt’s nur so von Schatten, da ist dein Töchterchen verloren. Sie wird eine ruhmreiche Freundin werden oder sonstwas Gemeines, davon aber haben wir nichts. Und du, Väterchen, hast auch nichts davon, überleg doch selbst, wenn du ein Mensch bist und kein Schatten; aber wie ein Schatten siehst du eigentlich nicht aus, obwohl du andererseits auch wieder ein komischer Mensch bist…«
»Sie ist noch ein Mädchen«, sagte Candide, »wozu wollt ihr sie quälen?«
Der Anführer zeigte sich erstaunt: »Wieso denn quälen? Außerdem wird sie nicht ewig ein Mädchen bleiben, eine Weile wird vergehn – und sie wird zur Frau werden, wird nicht irgendeine ruhmreiche Freundin sein, sondern eine Frau…«
»Er lügt«, sagte Nawa, »glaub ihm bloß nicht, Schweiger, unternimm schnell etwas, wenn du mich schon hergebracht hast, sonst schnappen sie mich, so wie sie seinerzeit Hinkebeins Tochter geschnappt haben, seither hat sie niemand mehr gesehen; ich will nicht zu denen, da werd’ ich lieber eine ruhmreiche Freundin… Schau doch nur, wie wild und dürr sie sind, die haben ja nicht mal was zu essen…«
Candide sah sich

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