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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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Mädchen? Warum habe ihr Peplos
einen Reißverschluß? Die Antikiller gingen auf die
Straße, um Demonstrationen zu veranstalten, in deren Verlauf sie
jeden erreichbaren Feindkiller zerschlugen und die Vaterlandsallegorien
zertrümmerten, womit sie jedoch allgemeine Empörung
auslösten. Sie wurde geschickt von den Produzenten aufgegriffen,
welche die Antikiller der öffentlichen Beleidigung patriotischer
Gefühle anklagten. Die Prozesse schleppten sich hin; die
Patrioten, noch erregt von dem gerade erst zu Hause errungenen Sieg,
eben erst mit Lorbeer bekränzt, eilten, um die Antikiller zu
verprügeln. Indessen aber hatte sich das Sortiment der
Spaltmünzen um völlig neue Arten vergrößert. Jetzt
konnte das Gerät außer Aggressoren auch Personen simulieren,
die in jeder Beziehung positiv waren. Die Psychotheken boten
gleichermaßen erdachte und reale Gestalten an – was
übrigens wegen der sogenannten Verletzung der persönlichen
Immunität per procura gerichtliche Nachspiele hatte, weil ziemlich
viele Leute sich Bekannte, Verwandte und Vorgesetzte bestellten, um den
Gefühlen freien Lauf zu lassen, die, bisher unterdrückt,
Frustrationen und andere nachteilige Beschwerden hervorgerufen hatten.
Nach mühsamer Arbeit entschied das Oberste Gericht von Kotaurien:
Wenn eine physische Person sich öffentlich mit einer simulierten
Person in einer Weise einlasse, daß es, wenn sie das gleiche mit
einer realen Person täte, ein Delikt im Sinne des
bürgerlichen Gesetzbuches wäre – dann könne der
per procura Geschädigte wegen persönlicher Beleidigung Klage
erheben; wenn dagegen jemand einem Simulierten privat und ohne Zeugen
zu nahe trete, gelte das nicht als Delikt. Natürlich schlügen
die Gegner der Phantomaten (denn so hießen die früheren
Feindkiller jetzt) abermals Lärm und erklärten, daß die
– egal, ob privat oder öffentlich – gebrauchten
Phantomaten eine sittenverderbende Technik seien und alles eine einzige
Lüge sei, was die Reklamekampagnen der Hersteller priesen:
daß die Phantomaten angeblich die ernsten Defizite an
Freundschaft, herzlichem Rat und Zärtlichkeit, die den breiten
Massen zu schaffen machen, ausgleichen sollten und man mit einer
nachgeahmten. Person nur ideale geistige Beziehungen anknüpfen
könne. Wenn es so wäre, würden die Hersteller aus ihnen
die bewußten Schikaniertasten entfernen, indessen habe das neue
Modell mehr, als das vorangegangene. Die Produzenten hielten dem
entgegen, nur ein Unhold würde der simulierten Bruderseele, dem
liebsten Vertrauten oder schließlich der verehrungswürdigen
Gattin eines mit Kotaurien befreundeten Monarchen etwas antun, aber
Unholde gebe es unter ihren Kunden bestimmt nicht. Außerdem sei,
was jemand mit einem Imitierten mache, nach der Verfassung und dem
Urteil des Obersten Gerichts seine Privatangelegenheit.
    Das Geschrei der Opposition half nichts – die
Nachfrage nach Phantomaten war enorm. Zwar dauerten die
Beleidigungsprozesse an, die Juristen hatten alle Hände voll zu
tun, umstritten war z. B. ob man gerichtlich gegen jemanden vorgehen
kann, der sich öffentlich mit dem brüstet, was er privat mit
dem Oberhaupt eines Nachbarstaats oder zumindest mit der verstorbenen
Schwester des Nachbarn getrieben haben will. Ob das als crimen laese
majestatis beziehungsweise als Nekrophilie zu werten ist oder nur als
purer Schein, als erzählte man Träume, deren Inhalt kein
Delikt bilden kann. Diese Dilemmas verstärkten die
gesetzgeberische Initiative und steckten neue Grenzen der
bürgerlichen Freiheiten ab. Der Erwerber eines Phantomaten konnte
mit den gezüchteten Phantomen machen, was er wollte, wenn er nur
nicht die Ruhe des Nachbarn störte. Öffentlich durfte nicht
gepeinigt werden, gleichwohl entstanden Privatklubs, in denen die
Hobbyisten um die Siegespalme kämpften, indem sie eine Rekordzahl
von sogar eisernen Charakteren an einem Abend fertigmachten.
Interessant ist, daß die Nachfrage nach Wissenschaftlern stieg;
zwar zeigten sich eigentlich keine günstigen pädagogischen
Folgen der Kontakte mit so bedeutenden Leuchten, man sagt, je mehr
einer ein Dummkopf ist, desto versessener ist er auf die Weisen.
Offenbar nicht, um Wissen und Rat zu erhalten, denn er wird nicht um
Haaresbreite klüger, sondern rennt sofort in die Phantomathek nach
dem nächsten Päckchen Spaltmünzen. Personen, die an
Einfallslosigkeit litten, konnten sich ein Handbuch für den Umgang
mit Phantomen kaufen, das eine reiche Auswahl an Kombinationen bot.

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