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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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Es
tauchten auch Phantomaten mit Zeitlupe auf, die ein Peinigen in
Zeitdehnung ermöglichten, was jede Einzelheit deutlich
hervortreten ließ. Die Antikiller verkündeten in ihren
Publikationen, daß jedesmal, wenn geschichtliche Ereignisse die
Moral der Gesellschaft läutern, die Unternehmer sie in die Gosse
zerren, wie es ja auch nach dem Informationskrieg der Fall war, als sie
aus der patriotischen Hochflut für sich eine Einnahmequelle
machten. Die Allgemeinheit war jedoch diesen Proklamationen nicht
zugetan, sie verstummten übrigens, sobald die Astronautik sich zu
entwikkeln begann. Der Entwicklung des Raumprogramms drohte allerdings
eine um so merkwürdigere Erscheinung, weil auch nicht einer der
Futurognostiker und Prognoseure, von denen allein Kotaurien über
neunzigtausend besaß, sie vorhergesehen hatte. Sie hatten sich
über die unermeßlichen Perspektiven der Eroberung der
Planeten ausgelassen, das Tempa ihrer Kolonisation vorausgesagt, mit
größter Genauigkeit die Tonnen wertvoller Erze, Rohstoffe
und anderer Schätze berechnet, welche die Semenia aus dem gesamten
Sonnensystem einführen würde, und alles hätte zweifellos
bis aufs I-Tüpfelchen gestimmt, wenn der eine Umstand nicht
gewesen wäre. Denn obwohl es bereits möglich war, die
Planeten und den Mond zu erobern, ihre Kontinente zu bewirtschaften,
auf ihnen eine lebenspendende und heldenhafte Tätigkeit zu
entfalten, Pioniergeist im Kampf mit den Widrigkeiten zu beweisen,
brannte niemand darauf. Es gab keine Freiwilligen. Also kamen die
Administratoren darauf, die ganze Sache müsse noch einmal
inszeniert werden – gewissermaßen im
Rückwärtsgang, und nach dem Erreichen der Ausgangsposition
sei ein anderer Ton anzuschlagen: Wenn schon die Kolonisation der
Planeten, die als Abenteuer des Jahrhunderts, höchste Auszeichnung
und geschichtliche Mission bezeichnet wird, keinen Enthusiasmus weckt,
dann muß man die Planeten in Strafsiedlungen und die Entsendung
der Helden in eine Verschickung von Verbrechern umwandeln. So werden
zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn das ist auch ein Mittel
gegen Umstürzler, Schreihälse, Unruhestifter und gegen
Überbevölkerung, zumal es schon reichlich eng wird.
    Diese Politik wurde mehr als hundert Jahre lang
betrieben, bis man mit großem Bedauern auf sie verzichten
mußte. Obwohl der Export der neuesten Technologie auf die
Strafplaneten einem Embargo unterlag, gelangten die Verschickten, unter
denen begabte und gebildete Leute überwogen, von selbst zu den
ihnen vorenthaltenen Techniken, schufen eine eigene Raketenflotte
gründeten einen planetarischen Dreibund, und indem sie den
Erzabbau samt der Industrie vergesellschafteten, wirtschafteten sie
nach einem eigenen System. Daher ließ sich die
Verschickungspolitik nur schlecht fortsetzen, die einer
Verstärkung der Opposition, die sich schon jetzt im Kosmos
breitgemacht hatte, gleichkam. Seitdem praktizierte der Planet Semenia
eine völlige Isolierung von den besiedelten Planeten, und das war
das Ende des Raumprogramms.
    Alles geht vorbei, also langweilten allmählich
auch die Phantomkiller und kamen außer Gebrauch. Sie wurden durch
neue Erfindungen abgelöst, und die Enge nahm ständig zu, denn
die Zahl der Lebenden verdoppelte sich jetzt bereits alle sechs Jahre.
Zwar errichteten die Masturbanisten für die Milliardäre mit
nazistischem Hang weiterhin geräumige Eremitagen, aber nur
Krösusse konnten sich so etwas leisten. Der gewöhnliche
Millionär mußte sich mit der Mitgliedschaft in einem
exklusiven Klub begnügen, z. B. im royalistischen, wo man den
Royalismus als Surroyalismus pflegte, denn es gab kein Königtum,
nur ein Territorialthrontrainer, der Territhron, stand zur
Verfügung. Für sehr Beschäftigte, die gern Herrscher
spielen wollten, ohne sich vom Schreibtisch loszumachen, gab es den
Telethron. Doch es war nicht mehr zu jeder Stunde möglich, das
Haus zu verlassen, so dicht gedrängt schob sich die Menge durch
die Straßen. Die Demographen konferierten und verabschiedeten die
Resolution, jeder Staat müsse seine Nachbarn zu besonnener
Zurückhaltung ermutigen und umgekehrt. Nichts als ein
Überredungsversuch, behaupteten die Regierungen. Haben unsere
Vorfahren sich nicht abgerackert, damit niemand mehr irgendwo irgendwem
etwas verbieten kann?
    Die Kirche unterstützte die Natalisten, sie
versicherte den Gläubigen, das Gedränge sei nur eine
vorübergehende Schwierigkeit, jenseits des Grabes werde es
nämlich stets leerer.

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