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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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in der Phase der Reife stabilisieren will, muß man einige Gruppen von Gehirnzellen entlasten, damit sie ihre bioelektrische Energie nicht völlig aufbrauchen. Außerdem benötigen sie einen Energiezuschuß von außen, in Form einer periodischen Aufladung… Übrigens werdet ihr das alles aus meinen Aufzeichnungen ersehen – sie enthalten nicht nur die theoretischen Voraussetzungen, sondern auch eine Beschreibung unserer Richtlinien. Ich mußte unsere anfänglichen Versuche mit den Schuhen noch einmal wiederholen – vor allem natürlich des eigenen seelischen Gleichgewichts wegen… Später schickte man mir die Geräte nach, und da… Nun, mit einem Wort, ich habe mich bemüht, die Sache bis zum dreiundzwanzigsten August abzuschließen, und wie ihr seht, habe ich es geschafft… Michail, übergib mein Paket Galina, sie wird es mit nach Borki nehmen.«
»Sie haben also…«, setzte Michail mit dumpfer Stimme an.
»Ja, uns blieb nichts anderes übrig, als die Versuche an uns selbst vorzunehmen. Und das haben wir getan – Neumann und ich. Dabei ist die Dosierung äußerst wichtig – wir haben uns auf eine einmalige Aufladung beschränkt. Du wirst dich erinnern, Galina: Im vergangenen Jahr haben wir sie wiederholt…«
»Ich erinnere mich!« rief sie aus. »Wenn ich gewußt hätte, was ihr euch da ausgedacht habt – ich hätte den Magnetmodulator zertrümmert!«
Sie schluchzte auf. Assja streichelte schweigend ihre Schultern.
»Entsetzlich«, flüsterte Michail.
»Entsetzlich? Nein, mein lieber Neffe, wunderbar ist das!« sagte Platonow mit Nachdruck. »Sehe ich deinen betagten Schützlingen vielleicht ähnlich? Na bitte! Schon über sieb zig, bin ich doch gesund und im Vollbesitz meiner Kräfte. Entsetzlich ist etwas anderes… Mir ist es gelungen, dem Computer eine Aufgabe zu formulieren, und er… Er hat mir völlig unerwartet das Gesetz für die Begrenztheit des Stoffwechsels aufgetischt. Erbarmungslos, mit minutiöser Genauigkeit teilte er mir die Dauer des Effekts mit… Neumann habe ich nichts davon gesagt: Seine Stunde schlug noch früher als die meine… Ja, Neumann war glücklich dran: Er hat es nicht gewußt.«
Platonow ging plötzlich zur Tür und riß sie auf. Hinter der Tür, im Flur, stand Igor – die Verbände schimmerten weiß auf seinem gebräunten Körper. In der Hand hielt er ein Buch.
»Hast du gelauscht?« fragte Platonow leise.
Der Junge sah ihn beunruhigt an. Als habe ihm jemand einen Stoß versetzt, stürzte er auf Platonow zu und klammerte sich krampfhaft an ihn.
»Fahren Sie nicht weg!« rief er. »Onkel Georgi, fahren Sie nicht weg! Fahren Sie nicht weg!«
Platonow strich ihm über den Kopf.
»Aber Igor, wie kommst du darauf? – Nun, beruhige dich doch. Sei ein Mann. Ich fahre ja nicht weg…«
Er brachte ihn in sein Zimmer zurück und sagte ihm, er solle sich hinlegen.
»Bist du schon lange wach?«
»Nein«, flüsterte Igor. »Noch nicht lange… Ich habe Licht gemacht und wollte etwas lesen, und da…«
»Ist ja gut. Jetzt aber schlafe, mein Freund. Gib mir mal das Buch. Was liest du denn da?«
»Es ist Ihr Buch. Sie haben es liegengelassen… ›Das Bildnis des Dorian Gray‹.«
»Ah, sieh mal an! Nun, gute Nacht, Igor.«
»Gute Nacht, Onkel Georgi.«
Platonow kehrte auf die Veranda zurück. Nachdenklich blätterte er in den zerlesenen Seiten, nahm dann seinen Kugelschreiber und schrieb schwungvoll aufs Titelblatt: »Dem künftigen Wissenschaftler Igor Lewitski zur Erinnerung an einen, der die Naturgesetze verletzte. Fürchte dich nicht vor dem, was du hier lesen wirst. Georgi Platonow.«
Er legte das Buch auf den Tisch und schaute auf die Uhr.
»Für mich wird’s Zeit…«
Er schüttelte Michails bebende Hand. Assja fiel ihm weinend um den Hals.
»Wir werden Sie niemals… niemals:.« Michail wollte etwas sagen, aber die Zunge verweigerte ihm den Dienst.
»Es ist gut, daß ich euch noch kennengelernt habe«, sagte Platonow. »Gut und zugleich schlecht… Nun, lebt wohl. Komm, Galina, begleite mich.«
    Sie saßen auf einem Stein, der noch die Wärme des vergangenen Tages in sich barg. Das Meer rollte rauschend auf das winzige, von Felsen umrahmte Stück Strand zu. Rechter Hand sah man die Lichter der Stadt, den beleuchteten Würfel des Seehafengebäudes und die Lichterkette der Uferpromenade.
»Hier habe ich oft mit Igor gebadet.«
    Galina antwortete nicht. Sie war wie versteinert.
Platonow zog sie an sich.
»Sei klug, Galina… Setze unsere Arbeit fort. Setze die Arbeit
    fort,

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