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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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Anblick des über dem Abgrund hängenden Jungen weiteten sich seine Augen.
»Halte dich, Igor! Ich komme!«
Die Wurzeln des Strauches hielten jedoch nicht länger stand und gaben nach… Ohne die stachligen Zweige aus den Händen zu lassen, stürzte Igor in die Tiefe.
»A-a-a-a…« Seine Stimme erstarb.
In diesem Augenblick stieß sich Platonow von dem, Felsvorsprung ab. Sein Körper schoß durch die Luft, und das blaue Meer kam auf ihn zu. Die Arme über den Kopf ausgestreckt, drang er wie ein Messer, ohne Spritzer, ins Wasser ein. »Noch ein wenig Geduld«, sagte Michail.
Der Junge nickte. Während der Vater ihm die zerschrammte Brust und den Bauch säuberte, mit Salbe bestrich und verband, gab Igor keinen Ton von sich. Mit zusammengebissenen Zähnen lag er da und hielt Onkel Georgis Hand. Kein Schmerzenslaut, kein Stöhnen entrang sich ihm. Nur in seinen Augen lag ein stummer Schrei.
»So, das hätten wir.« Michail deckte den Sohn mit einem Laken zu. »Bist ein tapferer Junge, Igor. Und jetzt versuche zu schlafen.«
Er legte die Hand an die Stirn des Jungen, trat vom Bett zurück und gab seiner Frau ein Zeichen: Gehen wir, er braucht Ruhe.
Assja erhob sich seufzend. »Geht’s dir wieder besser, Söhnchen?«
»Ja, Mama«, flüsterte Igor.
Noch immer hielt er die Hand Onkel Georgis, der reglos neben seinem Bett saß. Assja zog den Store zu und verließ zusammen mit Michail das Zimmer.
Als Platonow den Kopf hob, fiel sein Blick auf Galina. Müde lächelte er ihr zu und dachte: Sie sieht mich beinahe feindselig an.
Nach kurzer Zeit schlief Igor ein. Sobald Platonow aber seine Hand zu befreien suchte, schrak der Junge zusammen und klammerte sich noch fester an ihn. So geschah es mehrere Male.
Die Zeit verstrich, und im Zimmer wurde es dämmrig. Draußen, vor dem Fenster, sank die Sonne immer tiefer. Platonow blickte verstohlen auf die Uhr. Galina saß ihm direkt gegenüber. Als er ihrem verzweifelten Blick begegnete, schüttelte er nur leise den Kopf.
Endlich gelang es ihm, seine bereits eingeschlafene Hand zu befreien. Igor atmete ruhig.
Platonow umfaßte Galinas Schultern, und sie traten zusammen auf die Veranda hinaus. Assja machte sich in der Wirtschaft zu schaffen, lief in die Küche und kehrte mit einem Tablett zurück. Der Geruch der Speisen verursachte Platonow ein leises Schwindelgefühl.
»Laß dir Zeit, Assja«, sagte er. »Das Essen läuft uns nicht davon. Setz dich ruhig hin… Was schreibt man in der Zeitung, Michail?«
»Keine Ahnung.« Lewitski hob die Augenbrauen. »Ich habe heute noch keine Zeitung gelesen.«
Im Laub der Bäume rauschte der Abendwind. Von unten, aus der Stadt, tönten die Klänge von Geigen und das trockene Gemurmel einer Trommel herauf.
Platonow richtete sich auf, so daß der Korbstuhl unter ihm knarrte.
»Warum starrt ihr mich alle so an?« stieß er grob hervor.
»Was für ein Wunderwesen seht ihr in mir – einen alten Knacker, der nicht genug vom Leben kriegen kann…«
Niemand antwortete ihm. Nur Assja meinte zaghaft: »Georgi Iljitsch, Sie sind sicherlich hungrig…«
»Du könntest mir etwas Kompott auftun.«
Er begann sein Kompott zu verzehren.
Galina erhob sich schroff.
»Georgi…«
»Setz dich, Galina«, unterbrach er sie. »Ich bitte dich, setz dich wieder hin«, wiederholte er sanft. »Ich weiß, daß ich euch eine Erklärung schuldig bin… Ich wollte meinem Tod zuvorkommen, doch Igor hat mich dabei gestört… Hör zu, Michail, du kennst dich mit alten Leuten gut aus, weißt über die verfluchten altersbedingten Veränderungen, die Krankheiten und Schwächen des Alters Bescheid, über die allmähliche und unaufhaltsame Abnutzung des Organismus. Was, zum Teufel, kann trauriger sein als ein alternder Mensch!« In seinen grauen Augen lag ein Galina gut bekanntes, eindringliches Funkeln. »Die Versuche mit dem Leder und den anderen Stoffen brachten mich auf den Gedanken, auch die Abnutzung des lebenden Organismus in die stufenweise Kategorie zu überführen. Der Mensch soll sich nicht allmählich abnutzen wie ein Schuh. Er soll sich die einmal erreichte Reife in voller Blüte erhalten – bis zum letzten Augenblick, bis zum letzten Seufzer!«
Platonow erhob sich und schritt in der Veranda auf und ab. Dann ließ er sich wieder in seinem Korbsessel nieder und fuhr, ruhiger geworden, fort: »Viele Jahre lang habe ich mich mit der Erforschung des Gehirns befaßt. Später, als ich mit Neumann zusammenarbeitete, gelangten wir zu der Schlußfolgerung: Wenn man den Organismus

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