Die Rettung Raphael Santiagos: Die Chroniken des Magnus Bane (6) (German Edition)
wissen. Er sah immer noch aus dem Fenster.
Magnus kannte genügend Leute, die überzeugt waren, dass er keine Seele hatte. Er selbst glaubte sehr wohl, eine zu besitzen – aber das bedeutete nicht, dass er nicht auch manchmal daran gezweifelt hatte.
»Ist auch egal«, fuhr Raphael tonlos fort, bevor Magnus ihm antworten konnte. »Ich beneide dich trotzdem.«
»Warum denn das?«
Das Mondlicht fiel durchs Fenster genau auf Raphael und verlieh seinem Gesicht einen kalten weißen Glanz, sodass er aussah wie die Marmorstatue eines jung verstorbenen Heiligen.
»Entweder habt ihr noch eure Seelen«, erklärte Raphael, »oder ihr hattet nie welche. So oder so wisst ihr nicht, wie es sich anfühlt, verdammt und ausgestoßen zu sein und tagein, tagaus den Verlust seiner Seele zu spüren.«
Magnus legte seine Haarbürste weg. »Alle Schattenweltler haben eine Seele«, widersprach er. »Das unterscheidet uns von den Dämonen.«
Raphael schnaubte. »Das glauben die Nephilim.«
»Na und?«, erwiderte Magnus. »Manchmal haben sie auch recht.«
Raphael stieß ein paar ziemlich unhöfliche Worte auf Spanisch aus. »Die halten sich alle für die Retter der Welt, die cazadores de sombras«, sagte er dann. »Die Schattenjäger. Und doch ist keiner von ihnen gekommen, um mich zu retten.«
Schweigend betrachtete Magnus den Jungen. Sosehr er es auch versucht hatte, war er doch nie gegen seinen Stiefvater angekommen mit dessen Überzeugungen, was Gott verlangte und was Gott verurteilte. Er wusste nicht, wie er nun Raphael weismachen sollte, dass er immer noch eine Seele besaß.
»Wie ich sehe, versuchst du hier bloß, vom eigentlichen Thema abzulenken«, bemerkte er stattdessen. »Du hattest Geburtstag und bist nicht mal auf die Idee gekommen, es mir gegenüber zu erwähnen? Dabei ist das doch die perfekte Gelegenheit für eine meiner berühmten Partys!«
Raphael starrte ihn einen Moment lang schweigend an, dann drehte er sich um und ging aus dem Zimmer.
Magnus hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, sich ein Haustier zuzulegen. Einen missmutigen Vampirteenager hatte er dabei allerdings nicht im Sinn gehabt. Sobald Raphael ausgezogen war, sinnierte er, würde er sich eine Katze anschaffen. Und jedes Jahr an ihrem Geburtstag eine rauschende Party feiern.
Nur wenig später war Raphael in der Lage, sein Kreuz die ganze Nacht um den Hals zu tragen, ohne vor Schmerzen zu schreien oder sonstige Zeichen von Unwohlsein zu zeigen. Als er es am nächsten Morgen abnahm, war auf seiner Brust lediglich ein schwacher Abdruck zu erkennen, wie von einer lange verheilten Brandwunde.
»Das war’s dann also«, sagte Magnus erfreut. »Großartig. Du hast es geschafft! Jetzt besuchen wir deine Mutter.«
Er hatte ihr eine Nachricht geschrieben. Sie solle sich keine Sorgen machen, aber bitte auf keinen Fall bei ihm vorbeischauen. Er sei dabei, Raphael unter Einsatz all seiner Magie zu heilen, und dürfte währenddessen unter keinen Umständen gestört werden. Aber er wusste natürlich auch, dass sie das nicht auf ewig fernhalten würde.
Ausdruckslos spielte Raphael mit dem Kettchen in seiner Hand. Nur daran ließ sich erkennen, dass er verunsichert war. »Nein«, antwortete er schließlich. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich unterschätzt? Ich bin noch nicht fertig. Noch lange nicht.«
Dann erklärte er Magnus, was er als Nächstes vorhatte.
»Du machst wirklich einiges mit, um mir zu helfen«, stellte Raphael am darauffolgenden Abend nüchtern fest, als sie gemeinsam auf den Friedhof zugingen.
Magnus dachte bei sich, ohne es laut auszusprechen: Ja, weil es eine Zeit gab, in der ich genauso verzweifelt und unglücklich war und genau wie du überzeugt war, keine Seele zu besitzen.
Auch ihm war damals Hilfe angeboten worden – schlicht und ergreifend deswegen, weil er Hilfe brauchte. Aus keinem anderen Grund. Er erinnerte sich, wie die Stillen Brüder ihn in Madrid aufgesucht hatten und ihm gezeigt hatten, dass es immer noch einen Weg gab, wie er leben konnte.
»Du brauchst dich nicht zu bedanken«, sagte er stattdessen. »Ich mache das nicht dir zuliebe.«
Lässig zuckte Raphael mit den Schultern. »Alles klar.«
»Ich meine, ein bisschen Dankbarkeit hier und da wäre natürlich schon ganz nett«, fügte Magnus hinzu. »Du könntest zum Beispiel ab und zu mal die Wohnung aufräumen.«
Raphael dachte einen Moment darüber nach. »Nein, wohl eher nicht.«
»Ich finde, deine Mutter hätte dir ruhig mal eine runterhauen
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