Die Rettung Raphael Santiagos: Die Chroniken des Magnus Bane (6) (German Edition)
du.«
In den vergangenen Monaten hatte sich Etta immer wieder mit dem Thema Alter befasst. Die Männer, die in die Clubs kamen, um sie singen zu hören, und sie hinterher mit Angeboten überhäuften, sie zu heiraten und mit ihr Kinder zu bekommen, erwähnte sie nicht. Das brauchte sie auch gar nicht.
Magnus verstand es auch so. Wie ein Seemann, der die Wolken kannte, die einen heraufdräuenden Sturm ankündigten, erkannte auch er die Zeichen. Er war schon viele Male verlassen worden, aus den verschiedensten Gründen, und diesen hörte er nicht zum ersten Mal.
Unsterblichkeit hatte einen Preis. Nicht nur man selbst bezahlte dafür, sondern auch die Menschen, die man liebte. Wieder und wieder. Einige wenige waren bei ihm geblieben, bis dass der Tod sie geschieden hatte. Aber am Ende war es egal, ob es nun der Tod war oder nur eine neue Wendung in ihrem Leben, von der sie glaubten, dass Magnus nicht länger würde mithalten können – über kurz oder lang stand er doch wieder alleine da.
Er konnte Etta keinen Vorwurf machen.
»Würdest du das wollen?«, fragte Magnus schließlich, nachdem sie sich eine ganze Weile schweigend im Rhythmus der Musik gewiegt hatten. Er bot es ihr nicht an, aber dachte doch darüber nach. Irgendwie ließe es sich schon arrangieren. Einen Weg gab es immer. Die Frage war nur, welchen grauenhaften Preis man dafür bezahlen würde. Sein Vater kannte solche Wege. Magnus hasste seinen Vater, aber wenn sie auf diese Weise für immer bei ihm bleiben konnte …
Es folgte ein weiteres langes Schweigen. Alles, was Magnus hörte, war das Klacken seiner Sohlen und das leise Knistern ihrer nackten Füße auf dem Holzboden.
»Nein«, antwortete Etta, die Wange fest an seine Schulter gedrückt. »Nein. Wenn es nach mir ginge, hätte ich gerne noch ein bisschen mehr Zeit mit dir. Aber dafür würde ich niemals die Uhr anhalten.«
Auch als Magnus sich längst an seinen neuen, ständig genervten – und nicht minder nervenden – Mitbewohner gewöhnt hatte, den ihm das Schicksal so großzügig beschert hatte, erinnerten ihn die seltsamsten Gelegenheiten unvermittelt und schmerzhaft an Ettas Worte. Wie aus dem Nichts heraus wurde er dann mit einer Wahrheit konfrontiert, die ihm schon lange bewusst war: Raphaels Uhr war angehalten worden und man hatte ihn auf grausame Weise seines menschlichen Lebens beraubt.
Eines Abends war Magnus gerade dabei, mithilfe von Brillantine und einen Hauch Magie eine neue Frisur zu kreieren, als Raphael plötzlich und unerwartet hinter ihm auftauchte. Das passierte häufiger, als ihm lieb war, denn Raphael verfügte über die leisen Sohlen eines Vampirs. Magnus hatte den Verdacht, dass er das mit Absicht machte, aber da Raphael niemals lächelte, war das schwer zu sagen.
»Ganz schön gewagt für dein Alter«, bemerkte Raphael mit einem abschätzigen Blick auf Magnus’ Frisur.
»Ganz schön vorlaut für einen Fünfzehnjährigen«, konterte Magnus.
Normalerweise hatte Raphael auf alles eine freche Antwort. Diesmal jedoch blieb er still. Als Magnus von seinem Spiegel aufsah, stellte er fest, dass Raphael zum Fenster gegangen war und in die Nacht hinausschaute.
»Inzwischen wäre ich sechzehn«, sagte Raphael schließlich mit einer Stimme, die so fern und kalt war wie das Licht des Mondes. »Wenn ich noch am Leben wäre.«
Magnus konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem er entdeckt hatte, dass er nicht mehr alterte. Der Spiegel, der ihm dies gezeigt hatte, war ihm kälter erschienen als alle Spiegel zuvor, so als hätte er stattdessen in ein Stück Eis geblickt. Als wäre der Spiegel daran schuld, dass sein Abbild seither wie eingefroren und seltsam losgelöst von ihm war.
Er überlegte, ob es für Vampire anders war, denn im Gegensatz zu ihm kannten sie den genauen Tag, die Stunde, ja, die Minute, in der sie aufgehört hatten, Teil der warmblütigen und sich stets verändernden Menschheit zu sein. Sie standen still und die Welt drehte sich weiter, ohne dass man sie vermisste.
Aber er fragte nicht.
»Ihr Leute«, meldete sich Raphael wieder zu Wort. Charmant, wie er war, war dies seine Bezeichnung für Hexenmeister. »Ihr hört einfach irgendwann auf zu altern, oder? Ihr werdet wie ein Mensch geboren und obwohl ihr von Anfang an das seid, was ihr seid, altert ihr erst mal wie ein Mensch. Bis ihr dann irgendwann damit aufhört.«
Magnus fragte sich, ob Raphael Gedanken lesen konnte.
»Stimmt.«
»Glaubst du, deine Leute haben eine Seele?«, wollte Raphael
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