Die Rettung Raphael Santiagos: Die Chroniken des Magnus Bane (6) (German Edition)
Stahl. »Wenn ich ein guter und tapferer Junge wäre, würde ich das tun, was meine Mutter von mir erwarten würde, wenn sie die Wahrheit wüsste. Ich würde ins Sonnenlicht hinaustreten und meiner Existenz ein Ende setzen. Aber ich bin eine egoistische, herzlose, von Grund auf böse Bestie und will noch nicht im Höllenfeuer brennen. Ich will meine M-Mutter wiedersehen und das werde ich auch. Das werde ich. Das werde ich!«
Magnus nickte. »Was, wenn Gott dir helfen könnte?«, fragte er sanft.
Womit er im Prinzip nichts anderes sagte als: Was, wenn das, was du glaubst, falsch ist, und du immer noch Liebe und Vergebung finden kannst?
Trotzig schüttelte Raphael den Kopf.
»Ich bin ein Kind der Nacht. Ich bin nicht länger ein Kind Gottes. Er wacht nicht mehr über mich. Gott kann mir nicht helfen«, nuschelte Raphael mit erstickter Stimme, denn sein Mund war voller Blut. Er spuckte aus. »Und Gott wird mich nicht aufhalten.«
Magnus diskutierte nicht länger mit ihm. Raphaels Welt war zusammengebrochen, dabei war er in vielerlei Hinsicht noch so jung. Das Einzige, was ihm half, sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden, waren seine Überzeugungen, an denen er mit aller Macht festhalten würde. Selbst wenn diese besagten, dass er hoffnungslos verloren, verdammt und in Wahrheit bereits tot war.
Magnus war sich auch gar nicht sicher, ob es richtig wäre, ihm diese Überzeugungen nehmen zu wollen.
Später in der Nacht wachte Magnus auf und hörte Raphael leise und eindringlich vor sich hin murmeln. Magnus hatte schon oft Leute beten gehört, daher wusste er sofort, worum es sich handelte. Das Gebet bestand aus einer Reihe von Namen, die er nicht kannte, und er fragte sich, ob dies die Namen von Raphaels Freunden gewesen waren. Dann fiel der Name von Raphaels Mutter, Guadalupe, und Magnus war sich sicher, dass es sich bei den anderen um seine Brüder handelte.
So, wie die Sterblichen ihren Gott, ihre Engel und Heiligen anriefen, indem sie den Rosenkranz beteten, so betete Raphael die einzigen Namen, die ihm noch heilig waren und die er aussprechen konnte, ohne sich daran die Zunge zu verbrennen. Er betete zu seiner Familie.
Neben Raphaels anhaltender Überzeugung, eine auf ewig verdammte verlorene Seele zu sein, gab es allerdings noch eine ganze Menge anderer Ärgernisse, die das Zusammenleben mit ihm so mit sich brachte. Beispielsweise verbrauchte er beim Duschen immer die ganze Seife (obwohl er gar nicht mehr schwitzte und folglich nicht so oft hätte duschen müssen) und den Abwasch machte er auch nie. Als Magnus ihn darauf ansprach, gab Raphael lediglich zurück, dass er nichts mehr esse und dementsprechend auch kein schmutziges Geschirr hinterlasse. Typisch.
Ein weiteres Ärgernis zeigte sich, als eines Tages plötzlich Ragnor Fell, der Oberste Hexenmeister von London und der nervigste beste grüne Freund, den man sich nur denken konnte, unangekündigt vor der Tür stand.
»Ragnor, was für eine willkommene Überraschung«, rief Magnus, als er die Tür öffnete.
»Ich komme im Auftrag der Nephilim«, antwortete Ragnor. »Sie benötigen einen Zauber.«
»Und meine Warteliste war zu lang.« Magnus nickte bedauernd. »Ich bin ein gefragter Mann.«
»Außerdem legst du dich ständig mit den Schattenjägern an, weswegen sie dich nicht ausstehen können. Wenn man mal von einigen wenigen Rebellen unter ihnen absieht«, ergänzte Ragnor. »Wie oft habe ich dir das schon gesagt, Magnus? Wenn es um deine Profession geht, dann benimm dich auch professionell. Das heißt: Sei höflich zu den Nephilim. Aber bandle nicht mit ihnen an.«
»Ich habe noch nie mit den Nephilim angebandelt!«, protestierte Magnus.
Ragnor hustete, was sich verdächtig nach »Öhörondale« anhörte.
»Na ja«, seufzte Magnus. »So gut wie nie.«
»Bandle nicht mit den Nephilim an«, wiederholte Ragnor streng. »Zeige dich deinen Kunden gegenüber respektvoll und gewähre ihnen den Service und natürlich auch die Magie, nach denen sie verlangen. Deine Unhöflichkeiten kannst du dir für deine Freunde aufheben. Apropos unhöflich: Ich habe dich in diesem Jahrhundert noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Du siehst noch grauenhafter aus als sonst.«
»Das ist eine dreckige Lüge«, widersprach Magnus. Er wusste, dass er blendend aussah. Schließlich trug er eine fantastische Brokatkrawatte.
»Wer ist da an der Tür?« Raphaels gebieterische Stimme drang aus dem Badezimmer. Gleich darauf folgte auch der Rest von Raphael, der zwar nur ein
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