Die Rettung Raphael Santiagos: Die Chroniken des Magnus Bane (6) (German Edition)
beschützt. Es hat mich gerettet. Du hast mich gerettet.«
In diesem Moment fiel Guadalupes rigide Haltung von ihr ab. Magnus erkannte, dass bis dahin nicht nur Raphael seine gesamte Selbstdisziplin aufgeboten hatte. Jetzt wusste er auch, von wem Raphael sie hatte.
Guadalupe trat über die Türschwelle und streckte die Arme aus. Schneller, als es ein Mensch je vermocht hätte, war Raphael von Magnus’ Seite verschwunden und rannte auf seine Mutter zu. Sie zog ihn an sich und er schlang einen Arm um ihren Hals. Er zitterte am ganzen Körper, während sie ihm sanft übers Haar strich.
»Raphael«, murmelte sie in seine schwarzen Locken. Wie Magnus zuvor auch, schien sie mit dem Reden gar nicht mehr aufhören zu können. »Raphael, mijo, Raphael, mein Raphael.«
Aus diesem endlosen Strom an liebevollen und tröstenden Worten hörte Magnus heraus, dass ihre Strategie aufgegangen war. Raphael konnte seine Familie zurückhaben, ohne dass sie jemals die Wahrheit erfahren musste. Guadalupes Worte waren gleichzeitig liebevoll und besitzergreifend: mein Sohn, mein Junge, mein Kind.
Nun, da ihre Mutter ihren Segen erteilt hatte, drängten sich auch die anderen Jungs um Raphael. Er berührte sie sachte, strich den Jüngeren über die Haare und zog sanft daran, während er den Älteren zur Begrüßung einen leichten Stoß versetzte. Das alles sah ruppig aus, geschah in Wahrheit aber mit solcher Vorsicht, dass niemand es für etwas anderes als innige Zuneigung halten konnte.
In seiner Rolle als Wohltäter und Lehrer schloss auch Magnus Raphael in die Arme. So kratzbürstig, wie Raphael sich normalerweise gab, war daran bisher nicht zu denken gewesen. So nahe war Magnus ihm das letzte Mal gekommen, als er ihn niedergerungen hatte, um ihn daran zu hindern, sich ins Sonnenlicht zu stürzen. Raphaels Rücken fühlte sich unter seinen Händen dünn an, zerbrechlich – auch wenn er alles andere als das war.
»Ich schulde dir was«, flüsterte Raphael ihm leise ins Ohr. Sein Atem war kühl. »Ich verspreche, dass ich dir das nie vergessen werde.«
»Sei nicht albern«, antwortete Magnus. Er löste sich aus der Umarmung und weil er wusste, dass er diesmal damit durchkommen würde, strubbelte er Raphael anschließend noch einmal kräftig durch die Locken.
Der empörte Blick, den er dafür erntete, war einfach herrlich.
»Ich lass dich jetzt mit deiner Familie allein«, verkündete Magnus und wandte sich zum Gehen.
Dann hielt er doch noch einmal inne und ließ von seinen Fingern einige blaue Funken aufsteigen, die sich in kleine Häuschen und Sterne verwandelten. Damit wollte er den Kindern zeigen, dass Magie etwas Tolles war, vor dem man sich nicht zu fürchten brauchte. Er erklärte ihnen, dass Raphael in seiner Ausbildung gerade erst am Anfang stand – und im Übrigen auch nicht annähernd so talentiert war wie er –, weswegen es noch Jahre dauern würde, bis er ebenfalls solche kleinen Wundertaten vollbringen konnte. Mit einer gezierten Verbeugung beendete er die Vorstellung und brachte die Kleinen zum Lachen. Raphael verdrehte bloß die Augen.
Dann schritt Magnus langsam davon. Der Winter hielt Einzug, war aber noch nicht ganz angekommen, und so genoss er seinen kleinen Spaziergang und erfreute sich an den kleinen Dingen des Lebens. An der frischen Winterluft, den vereinzelten goldenen Blättern, die noch unter seinen Füßen knisterten, den kahlen Bäumen, die darauf warteten, in strahlendem Glanz wiedergeboren zu werden. Er ahnte, dass die Wohnung, zu der er zurückkehrte, sich ein wenig zu leer anfühlen würde. Dann würde er Etta anrufen und sie würde mit ihm tanzen und die Räume und sein ganzes Leben wieder mit Liebe und Gelächter füllen. Zumindest für eine Weile, bis auch sie ihn verlassen würde.
Hinter ihm näherten sich eilige Schritte und für einen Moment glaubte er, es sei Raphael, glaubte, dass ihre Maskerade in letzter Sekunde aufgeflogen war, obwohl sie sich doch so siegessicher gefühlt hatten.
Aber es war nicht Raphael. (Tatsächlich sah Magnus Raphael erst einige Monate später wieder, als dieser bereits Camilles Stellvertreter war und auf seine unnachahmliche Weise Vampire herumkommandierte, die um Jahrhunderte älter waren als er. Dieses Gespräch verlief höchst geschäftsmäßig, von einem ranghohen Schattenwelter zum anderen. Magnus wusste aber, dass Raphael nichts vergessen hatte. Sein Verhältnis zu den New Yorker Vampiren – Camilles Clan – war immer recht angespannt gewesen, aber zu
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