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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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schämte, verspürte sie ein schier unwiderstehliches Verlangen nach ihm.
    »Schau mich nicht so an«, sagte Ji-woong. »Ich weiß, daß du Hautkontakt nicht ertragen kannst. Hab keine Angst, ich werde dir nicht vorschlagen, mit mir zu tanzen.« Sie wollte gerade widersprechen, als zwei Polizisten auftauchten, denen die Apothekerin ihre Angreifer genau beschrieb.
    Ji-woong zog Julie in die Mitte der Tanzfläche, wo es am dunkelsten war, und umarmte sie, um nicht aufzufallen.
    Doch ausgerechnet in diesem Augenblick schaltete der Diskjockey die volle Beleuchtung wieder ein. Erst jetzt konnte man sehen, was für Typen in der ›Hölle‹ verkehrten: Sado-Maso-Paare in Lederkleidung, Homosexuelle, Bisexuelle, als Männer verkleidete Frauen, als Frauen verkleidete Männer …
    Alle waren schweißgebadet.
    Die Polizisten schoben sich langsam durch diese exotische Menge. Wenn sie die beiden ›Ameisen‹ erkannten würden sie sie bestimmt festnehmen. In dieser Notlage tat Julie etwas Unvorstellbares: Sie umfaßte das Gesicht des Koreaners mit beiden Händen und küßte ihn auf den Mund. Der junge Mann war total überrascht.
    Es wurde ein sehr langer Kuß, denn die Polizisten näherten sich. Julie hatte gelesen, daß auch die Ameisen Küsse kennen, nur unter einem anderen Namen: Trophallaxie. Im Gegensatz zu den Menschen tauschten sie während des Mundkontakts allerdings auch noch Nahrung aus, was Julie und Ji-woong zum Glück nicht zu tun brauchten.
    Die Polizisten musterten sie mißtrauisch.
    Wie Strauße, die bei Gefahr den Kopf in den Sand stecken, schlossen die beiden ›Ameisen‹ die Augen und hörten nicht einmal mehr Alexandrines Stimme. Julie wollte die muskulösen Arme des Koreaners noch viel fester um sich spüren, doch die Polizisten verließen die Nachtbar unverrichteter Dinge, und der magische Moment war vorüber.
    Verlegen lösten sie sich voneinander.
    »Entschuldige bitte!« brüllte Ji-woong ihr ins Ohr, um sich bei dem Radau verständlich zu machen.
    »Wir hatten wirklich keine andere Wahl«, murmelte Julie. Er nahm sie bei der Hand, sie verließen die ›Hölle‹ und kehrten durch den Keller und den unterirdischen Gang ins Gymnasium zurück.
     

115. ENZYKLOPÄDIE
     
    Annäherung durch Spiele: In den sechziger Jahren kaufte ein französischer Pferdezüchter vier feurige graue Hengste, die sich sehr ähnlich sahen. Bedauerlicherweise konnten sie einander aber nicht ausstehen, und es war unmöglich, aus ihnen ein Gespann zu machen, denn sie wollten jedesmal in vier verschiedene Richtungen ausbrechen.
    Ein Tierarzt kam schließlich auf die Idee, sie in vier nebeneinanderliegenden Boxen unterzubringen und an den Trennwänden Spielzeuge anzubringen: Rollen, die man mit dem Maul anstoßen konnte, Bälle, die sich mit den Hufen von einer Box in die andere kicken ließen, und bunte Mobiles, die an Schnüren hingen.
    Die Pferde mußten in regelmäßigen Abständen die Boxen wechseln, damit alle sich kennenlernen und miteinander spielen konnten. Nach einem Monat waren die vier Hengste unzertrennlich. Sie gaben nicht nur ein ideales Gespann ab, sondern schienen ihre Arbeit sogar als Spiel zu empfinden.
    EDMOND WELLS,
    Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III

116. HELLE AUFREGUNG
    Nr. 7 ist fasziniert von den vergrößerten Ameisenschatten an den Wänden. Sie greift nach einem abgekühlten Stückchen Holzkohle und zeichnet damit die Umrisse einer dieser Gestalten nach. Als sie fertig ist, zeigt sie ihr Werk den anderen, die ein lebendiges Insekt vor sich zu sehen glauben und mit ihm Kontakt aufzunehmen versuchen. Sie hat große Mühe, ihnen klarzumachen, daß das nur eine Nachbildung ist.
    Mit wenigen Kohlestrichen hat Nr. 7 soeben die bildende Kunst der Ameisen erschaffen, die große Ähnlichkeit mit den Höhlenmalereien von Lascaux hat. Sie betrachtet ihre Zeichnung und stellt fest, daß Schwarz für ein lebensgetreues Bild nicht ausreicht. Sie braucht Farben.
    Aber woher soll sie Farben nehmen? Eine graue Ameise, die gerade ihr Werk bewundert, kommt ihr sehr gelegen. Sie läßt sie kurz entschlossen zur Ader, und das weiße Blut bewirkt, daß die Konturen von Gesicht und Fühlern der Ameise an der Wand tatsächlich schärfer hervortreten. Sehr gelungen, lobt sich die Künstlerin. Die graue Ameise hat ihrer Ansicht nach keinen Grund zur Klage, denn sie hat soeben als erstes Insekt ein Opfer für die Kunst gebracht.
    Die Ameisen geraten jetzt in einen schöpferischen Rausch und wetteifern

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