Die Revolution der Ameisen
miteinander. Während Nr. 7 malt experimentieren andere mit dem Feuer oder erforschen das Hebelprinzip. Nichts ist unmöglich! Ihre eigene Gesellschaft, die sie bisher für sehr fortschrittlich gehalten haben, kommt ihnen plötzlich mehr als rückständig vor.
Jede der Ameisen findet ihr eigenes Interessengebiet. Sie alle profitieren von den Anregungen und Erfahrungen der Prinzessin, und Nr. 5 ist ihre wichtigste Assistentin geworden.
Nr. 6 kann am geschicktesten mit Feuer umgehen. Nr. \1 begeistert sich für die Malerei. Nr. 8 erforscht den Hebel, Nr. \1 das Rad. Nr. 10 legt das Gedächtnispheromon über Sitten und Gebräuche der Finger an. Nr. 11 interessiert sich für Architektur und für die verschiedenen Formen des Nestbaus.
Nr. 12 ist seit den Bootsreisen von der Navigation fasziniert.
Nr. 13 denkt über die neuen Waffen – glühender Zweig und Schildkrötenkriegsschiff – nach. Nr. 14 wünscht sich Dialoge mit fremden Tierarten. Nr. 15 beschäftigt sich mit den neuen Gerichten, die sie auf dieser Reise probiert hat, und Nr. 1\1 erstellt eine Kartografie der verschiedenen Pisten, denen sie bisher gefolgt sind.
Die Prinzessin spricht über das Fernsehen der Finger, in dem oft Geschichten zu sehen sind, die mit der Realität nichts zu tun haben. Nr. 10 trägt die neuesten Informationen über die Finger gewissenhaft ins Gedächtnispheromon ein.
ROMANE
Die Finger erfinden Geschichten, die sie Romane oder Drehbücher nennen.
Sie denken sich Personen, Orte und sogar ganze Welten aus, die es nicht gibt.
Welchen Sinn soll das haben?
Sie wollen einfach hübsche Geschichten erzählen. Es gehört zu dem, was sie ›Kunst‹ nennen.
Wie sind diese Geschichten aufgebaut?
Den Filmen nach zu schließen, die Nr. 103 gesehen hat, haben sie einen genauso einfachen Aufbau wie die Witze und Anekdoten, jene seltsamen kurzen Geschichten, die bei den Fingern krampfhafte Zuckungen hervorrufen.
Alle bestehen aus einem Anfang, einer Mitte und einem unerwarteten Schluß.
Prinz Nr. 24 hört der Prinzessin aufmerksam zu, und obwohl er ihre Begeisterung für die Welt der Finger nicht teilt, kommt ihm plötzlich die Idee, alles, was sie erzählt, als erfundene Geschichte neu zu gestalten. Er will den ersten Pheromonroman der Ameisen verfassen, nach dem Vorbild der großartigen Ameisensagen. Was er mittlerweile über die Finger weiß, müßte ausreichen, um spannende Abenteuer einzuflechten. Der Prinz fühlt sich dieser Aufgabe durchaus gewachsen und hat sogar schon einen Titel für sein Erstlingswerk. Ganz einfach: Die Finger. Nr. 103 schaut sich das Gemälde von Nr. 7 an. Die Künstlerin sagt, sie brauche unbedingt verschiedene Pigmente, und die Prinzessin schlägt ihr vor, Pollen für das Gelb, Gras für das Grün und zerhackte Klatschmohnblütenblätter für das Rot zu verwenden. Nr. 7 befolgt diesen Rat und rührt ihre Farben mit Speichel und Honigtau an. Zusammen mit zwei anderen Ameisen, die sie als Assistentinnen gewinnen konnte, macht sie sich daran, den Gegenkreuzzug auf einem Platanenblatt darzustellen. Sie zeichnet drei Ameisen und, weit von ihnen entfernt, einen rosa Kegel. Für die rosa Farbe muß sie den zerhackten Mohn mit sehr viel Speichel verdünnen. Dann malt sie mit Pollen eine gelbe Linie, die von den Ameisen zum rosa Kegel führt.
Das ist das Feuer. Es ist ein Bindeglied zwischen Ameisen und Fingern.
Während sie ihrer jungen Gefährtin zuschaut, hat Nr. 10\1 eine glänzende Idee. Anstatt ihre Expedition wie bisher als Gegenkreuzzug zu bezeichnen, sollte sie ihr den Namen
›Revolution der Finger‹ geben, denn ihr Wissen über die Welt der Finger wird bestimmt zu gewaltigen Umwälzungen in der Ameisengesellschaft führen.
Am Feuer wird währenddessen heftig debattiert. Ameisen, die Angst vor der Glut haben, verlangen, daß sie sofort gelöscht und nie neu entfacht wird. Bald kommt es zwischen Anhängerinnen und Gegnerinnen des Feuers zu Schlägereien.
Der Prinzessin gelingt es nicht, die erbittert Kämpfenden zu trennen. Erst nachdem drei Tote zu beklagen sind, kommen die Ameisen zur Vernunft und sind wieder zu einer sachlichen Diskussion bereit. Einige beharren, das Feuer sei tabu. Andere halten dem entgegen, es handle sich um eine moderne Entwicklung, und wenn die Finger das Feuer furchtlos benutzten, könnten die Ameisen das logischerweise auch.
Durch das Tabu seien sie technologisch ins Hintertreffen geraten. Hätten die Ameisen das Feuer schon vor Jahrmillionen objektiv erforscht und
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