Die Revolution der Ameisen
die Seite.
Sie schwört sich, es nie wieder zu versuchen.
Auf einen Knorren gestützt, kann Nr. 5 sich etwas länger aufrecht halten.
»Man hat auf zwei Beinen ein fantastisches Gefühl«, verkündet sie den anderen, doch gleich darauf kippt auch sie um.
125. IN WALLUNG
»Das alles ist noch viel zu instabil!«
Alle waren einer Meinung: Sie mußten ihre Revolution jetzt absichern, und das ging nur mit Disziplin, mit einer guten Organisation und mit klarer Zielsetzung.
Ji-woong schlug vor, ein Inventar sämtlicher im Gymnasium vorhandenen Gegenstände zu erstellen. Wie viele Bettlaken, wie viele Bestecke, wie viele Lebensmittel – alles war wichtig.
Als allererstes wurden aber die Personen gezählt.
Fünfhunderteinundzwanzig ›Revolutionäre‹ hielten das Gymnasium besetzt, doch die Schlafräume waren nur für zweihundert Schüler gedacht. Julie regte an, auf dem Rasen Zelte zu errichten. Laken waren reichlich vorhanden, und es gab auch genug Besen, die man als Stützpfähle benutzen konnte. Die Idee fand allgemeine Zustimmung, und Léopold zeigte ihnen, wie man Tipis aufbaute, jene spitzen Zelte der Navajo-Indianer, die über den großen Vorteil einer hohen Decke und guter Belüftung verfügten. Nebenbei erklärte er, warum runde Häuser wichtig waren.
»Die Erde ist rund, und wenn wir ihre Form nachahmen, nehmen wir sozusagen Kontakt mit ihr auf.«
Ferner gab er den Rat, die Zelte nicht wild durcheinander aufzustellen, sondern in konzentrischen Kreisen, mit dem Feuer, dem Fahnenmast und der Ameise aus Polystyrol als Mittelpunkt.
»Auf diese Weise wird unser Dorf ein Zentrum haben, und man wird sich leichter zurechtfinden können. Das Lagerfeuer ist unsere kleine Sonne.«
Alle machten sich begeistert an die Arbeit, nähten Laken zusammen, klopften Besenstiele in den Boden und benutzten Gabeln als Zeltpflöcke. Für viele junge Leute, die nur Reißverschlüsse und Druckknöpfe kannten, war dies die erste Gelegenheit, ihr handwerkliches Geschick zu erproben. Auf der rechten Seite des Gymnasiums, vor den Lehrerzimmern, wurde ein Podium für Diskussionen und Konzerte aufgebaut.
Als alles fertig war, musizierte man eifrig. Unter den Demonstranten gab es eine ganze Anzahl begabter Künstler, die alle möglichen Musikrichtungen bevorzugten; sie lösten sich jetzt auf der improvisierten Bühne ab.
Die Mädchen vom Aikido-Club leisteten einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Revolution, indem sie einen Ordnungsdienst organisierten. Mit ihren wirren Haaren und wild entschlossenen Mienen glichen sie Amazonen aus dem Bilderbuch.
Paul überwachte die Inventaraufnahme der Kantine. Es bestand keine Gefahr, daß die Belagerten verhungern würden, denn in den riesigen Tiefkühltruhen waren tonnenweise Lebensmittel untergebracht. Paul wußte, daß der ersten gemeinsamen Mahlzeit eine fast symbolische Bedeutung beikam, und deshalb stellte er ein erlesenes Menü zusammen.
Tomaten, Mozzarella und Basilikum in Olivenöl als Vorspeise, Jakobsmuscheln und Fisch mit Safranreis als Hauptgericht und Obstsalat oder Apfelkompott als Nachtisch.
»Bravo!« gratulierte Julie. »Unsere Revolution wird sich auch in gastronomischer Hinsicht sehen lassen können.«
»Die Revolutionäre von früher hatten eben keine Tiefkühltruhen zur Verfügung«, erwiderte Paul bescheiden.
Als Cocktail wollte er Met anbieten, das Getränk der olympischen Götter und der Ameisen. Sein Rezept: Wasser, Honig und Bierhefe gut vermischen. Das Getränk schmeckte schon nach einer halben Stunde köstlich, obwohl es natürlich noch nicht ausgereift war.
»Stoßen wir auf unsere Revolution an!«
Zoé berichtete, daß das Anstoßen mit den Gläsern auf eine mittelalterliche Tradition zurückginge. Beim kräftigen Anstoßen flogen Tropfen des Getränks aus einem Pokal in den anderen, und dadurch konnte man sicher sein, daß keinem Becher Gift beigemischt war.
Das Essen wurde in der Cafeteria serviert. Ein Gymnasium war für eine Revolution wirklich sehr praktisch: Es gab Elektrizität, Telefone, Küchen, Tische und Stühle, Schlafsäle und alles mögliche Bastelzubehör. Irgendwo auf freiem Feld oder im Wald wäre alles viel komplizierter. Alle aßen mit gutem Appetit und dachten dabei mitleidig an die Revolutionäre früherer Zeiten, die sich mit weißen Bohnen und Zwieback begnügen mußten.
»Wir machen sogar in dieser Hinsicht etwas Neues«, sagte Julie zufrieden. Ihre Magersucht hatte sie völlig vergessen.
Beim gemeinsamen Geschirrspülen
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