Die Revolution der Ameisen
eine unglaubliche Energie.
»Nummer 24!« ruft die Prinzessin wieder.
Keine Reaktion.
Die schreckliche Szene erinnert Nr. 103 an eine dramatische Episode im Film Vom Winde verweht, an den Brand von Atlanta, aber sie weiß, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt für nostalgische Erinnerungen ans Fernsehen der Finger ist. Weil sie es diesen Riesentieren übereilt gleichtun wollten, sitzen sie jetzt in der Klemme.
»Wir werden ihn nicht finden«, meint Nr. 5 . »Versuchen wir lieber, uns selbst einen Weg ins Freie zu bahnen!«
Sie schiebt die unschlüssige Prinzessin auf ein Loch im Holz zu, doch mittlerweile ist ein dicker Hartflügler darin steckengeblieben, und es gelingt ihnen nur mit vereinten Kräften, ihn hinauszustoßen. Endlich können sie der Flammenhölle entkommen.
Draußen ist es dunkel und kalt, aber nicht lange, denn plötzlich verwandelt sich der ganze Baum in eine riesige Fackel, und alle fliehen Hals über Kopf, mit angelegten Fühlern, wobei sie von anderen verängstigten Insekten überholt werden.
Das Feuer hat sich in ein riesiges Ungeheuer verwandelt, das sie verfolgt, obwohl es keine Beine hat. Das Ende des Hinterleibs von Nr. 5 wird angesengt, und sie muß sich an Grashalmen reiben, um nicht zu verbrennen.
Die ganze Umgebung hat sich rot verfärbt. Das Gras ist rot, die Bäume sind rot, die Erde ist rot. Prinzessin Nr. 103 rennt, so schnell sie kann, denn das rote Feuer ist ihr dicht auf den Fersen.
128. MIT VEREINTEN KRÄFTEN
Am Abend des zweiten Tages produzierten sich verschiedene Rockgruppen, allerdings nicht die ›Ameisen‹, die in ihrem Probenraum ein Pow-wow abhielten.
Julie trat immer selbstsicherer auf. »Wir müssen unserer Revolution eine feste Grundlage geben, sonst fällt sie wie ein Soufflé in sich zusammen. Hier sind 521 Personen versammelt, und wir sollten die Ideen jedes einzelnen nutzen. Gemeinsam verfügen wir über eine ungeheure Energie.«
Sie verstummte überrascht und fügte nach kurzer Pause hinzu: »He, mir ist soeben die Devise für unsere Revolution eingefallen: 1 + 1 = 3!«
Diese Formel stand auf dem Einband der Enzyklopädie und sogar auf der Fahne, die im Schulhof flatterte, aber sie hatte sie bisher nicht bewußt wahrgenommen. »Ja, das paßt besser zu uns als ›Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, stimmte Francine ihr zu. »1 + 1 = 3 bedeutet, daß die Fusion von Talenten zu besseren Resultaten führt, als man aufgrund einer reinen Addition vermuten würde.«
»Ein perfekt funktionierendes Gesellschaftssystem müßte so etwas bewirken können. Eine schöne Utopie«, seufzte Paul.
»Vorläufig müssen wir den anderen Impulse geben, damit sie bei der Stange bleiben«, ergriff Julie wieder das Wort. »Ich schlage vor, daß wir die ganze Nacht über nachdenken und morgen früh unsere Projekte vorstellen. Jeder sollte seine besonderen Begabungen nutzen.«
»Aber diese Projekte müssen sowohl realisierbar als auch von praktischem Nutzen sein, denn unsere Revolution braucht Geld«, fügte Ji-woong hinzu.
David meinte, im Gymnasium gebe es genügend Computer.
Sie könnten die Ideen der ›Revolution der Ameisen‹ per Internet verbreiten und sogar Handelsgesellschaften gründen, ohne das Gymnasium verlassen zu müssen.
»Electronic Banking wäre auch nicht schlecht«, regte Francine an. »Auf diese Weise könnten die Leute uns aus der Ferne finanziell unterstützen.«
Alle waren damit einverstanden. Nachdem sie keinen Zugang zu den Medien hatten, würden sie sich der Informatik bedienen, um ihre Ideen zu verbreiten und weit über die Mauern des Gymnasiums hinaus ein Netz gegenseitiger Hilfe knüpfen.
Draußen wurde wieder gefeiert. Der Met floß in Strömen.
Paare tanzten um das Lagerfeuer herum oder lagen eng umschlungen im Gras. Marihuanazigaretten gingen von Hand zu Hand, und Tam-Tams sorgten für eine aufgeheizte Stimmung.
Julie und ihre Freunde beteiligten sich nicht an dem Fest.
Jeder setzte sich in ein leeres Klassenzimmer und arbeitete sein Projekt aus. Gegen drei Uhr morgens war Julie völlig erschöpft und entschied, daß alle einige Stunden Schlaf brauchen würden.
Narcisse hatte den Probenraum als ›Höhle‹ hergerichtet. Auf dem Boden lagen Matratzen, und Wände und Decke waren in Ermangelung anderer Dekorationsstoffe mit Bettlaken und Decken verhüllt. Léopold dachte, daß es in jeder Wohnung ein solches Zimmer ohne gerade Linien und rechte Winkel geben müßte, mit einem weichen, elastischen Fußboden.
Julie
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